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Günstigflieger in Lateinamerika: Freiheit mit Fragezeichen

FlyBondi Boeing 737-800
FlyBondi Boeing 737-800, © FlyBondi

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BUENOS AIRES - Emotionale Szenen spielen sich dieser Tage auf argentinischen Flughäfen ab - zumindest will FlyBondi diesen Eindruck vermitteln. Der neue Billigflieger startete am Freitag den Flugbetrieb. Zeit, zu fragen, ob Günstigairlines die lateinamerikanische Luftfahrt wirklich so aufmischen werden wie andernorts.

Die "Revolution der Lüfte" - ein Projekt des argentinischen Präsidenten Mauricio Macri - hat innerhalb von zwei Jahren die Fantasie von Unternehmern, Glücksrittern, Neulingen und alten Bekannten der Branche beflügelt.

FlyBondi, eine der neuen Billigairlines, die am 26.01.2018 in Argentinien an den Start gehen, startete eine Kampagne, die direkt ins Herz ihrer potenziellen Passagiere zielt. Vor Weihnachten schickte sie bereits einige Schulkinder und Senioren auf ihren ersten Flug durch argentinische Höhen.

"2018 wollen wir nur eines: im Flug Umarmungen, Wiedersehen, Anekdoten, Liebesgeschichten, Freundschaften, Lachen, Überraschungen, Geschenke, Hoffnungen, Erlebnisse und Gefühle nach ganz Argentinien bringen", twitterte FlyBondi ihre Follower ins neue Jahr.

Zumindest für den Erstflug ging die Rechnung auf, die Boeing 737-800 war mit 189 Passagieren ausgebucht. In den nächsten Jahren will FlyBondi die Flotte auf 30 737-800 erweitern.

Die teure Freiheit, zu fliegen

"Die Freiheit, zu fliegen" lautet der Slogan der Billigfluggesellschaft. Wie weit ist es her mit dieser Freiheit? Tatsächlich: "Flugreisen werden nun für viele Menschen möglich, die bisher keinen Zugang dazu hatten", sagt der Chef der Latin American and Caribean Air Transport Association (ALTA), Luis Felipe de Oliveira, im Interview mit aero.de.

Dennoch: Ein Blick auf die argentinischen und lateinamerikanischen Marktbedingungen relativiert den flybondischen Optimismus. Knapp 30 Euro soll ein FlyBondi-Flug von Buenos Aires nach Córdoba kosten. Das durchschnittliche Monatsgehalt liegt in Argentinen derzeit bei umgerechnet etwa 900 Euro.

"Die Günstigairlines treten (in Lateinamerik, Red.) zu sehr ähnlichen Bedingungen an wie die traditionellen Airlines", sagt Oliveira. Hohe Spritpreise, Flughafengebühren, der Mangel an Alternativflughäfen und volatile Währungen sind Faktoren, mit denen europäische und auch asiatische Billigairlines nicht in dem Maße zu kämpfen haben wie lateinamerikanische.

"Eine schwache Währung hält die Menschen davon ab, zu reisen", sagt Oliveira. "Das ist das große Problem: die Kosten (der Airlines, Red.), die an den Dollar gekoppelt sind gepaart mit dem Einkommen der lateinamerikanischen Bevölkerung, das in der jeweiligen Landeswährung ausgezahlt wird."

Dazu kommen Entfernungen, die ein profitables Point-to-Point-Modell beinahe unmöglich machen.

Wenige Farben am Himmel

Welche Chancen haben also Günstigairlines auf dem lateinamerikanischen Markt - steht ihnen tatsächlich ein Siegeszug bevor? Ein Blick auf die Airline-Landschaft des Kontinents lässt eine Entwicklung erkennen: im Lauf der vergangenen Jahrzehnte hat die Vielfalt abgenommen.

Es scheint, dass Airlines vor allem im Verbund mit größeren bestehen. Zahlreiche Airlines, traditionelle wie Billigflieger, vereinen sich heute unter den Bannern der Großen: so ging die brasilianische Günstigairline Webjet 2011 in GOL auf, die ecuadorianische AeroGal firmiert bereits seit 2014 mit der Marke Avianca Ecuador - seit Anfang 2018 ist sie offiziell Avianca Ecuador.

Ähnlich erging es der 1931 gegründeten salvadorianischen TACA, die seit 2013 als Avianca El Salvador unterwegs ist. Ebenso die costa-ricanische Lacsa, seit 2013 Avianca Costa Rica.

Die mexikanische Aerolitoral wurde 1990 zum Regionallieferanten der Aeroméxico – und fliegt seither unter dem Namen Aeroméxico Connect. Zudem hat sich Aeroméxico mit Delta einen finanzkräftigen Partner an Bord geholt.

Einige Airlines haben über die Länder des Kontinents verteilt ihren Dienst komplett eingestellt. Unter ihnen die argentinische Southern Winds, die bolivianische Lloyd Aéreo Boliviano oder die mexikanische Traditionslinie Méxicana de Aviación.

Doch es zeichnet sich noch eine zweite Entwicklung ab. In jüngerer Vergangenheit haben sich in verschiedenen Ländern neue Günstigairlines formiert.

Davon wissen einige von ihnen internationale Geldgeber hinter sich: etwa die chilenische JetSmart und die mexikanische Volaris der IndiGo-Gruppe, Viva Air Peru der Irelandia Aviation Group, Viva Colombia, ein gemeinsames Unternehmen der Grupo Bolívar und der Irelandia Aviation Group oder Viva Aerobus, die zunächst von dem mexikanischen Busunternehmen Iamsa und Irelandia Aviation Group gegründet wurde und heute ganz Iamsa gehört.

Der mexikanische Billigflieger Interjet gibt sich derzeit Mühe, die Ausweidung von vier neu gekauften Sukhoi Superjets nicht wie einen Indikator für klamme Kassen aussehen zu lassen. Gleichzeitig ist er auf der Suche nach Partnerairlines und Investoren.

Latin American Wings, der chilenische Billigflugneuling, dem es dank eines Joint Ventures mit der venezolanischen Estelar derzeit als einzige Airline gelingt, Devisen aus dem sozialistischen Land zu holen, musste sein Geschäftsmodell bereits verändern.

Vervierfachung des Markts

Wegen der großen Konkurrenz und mangelnder Profitabilität hat die Airline Inlandsflüge wieder eingestellt. Sie konzentriert sich jetzt auf Routen nach Haiti und Miami.  Dieses Beispiel ist bezeichnend: bis auf den mexikanischen Supergünstigflieger Volaris konzentrieren sich die gut funktionierenden Billigairlines auf spezifische, meist regionale Routen.

Zugleich greifen internationale Marken wie Norwegian Air Shuttle und Level nach dem großen Kuchen Lateinamerika. Der ehemalige Ryanair-Vize Mike Cawley hat in FlyBondi investiert und ist sicher, dass Günstigflieger auch in Südamerika die Luftfahrtlandschaft verändern werden.

Nachdem Günstigairlines in Polen an den Start gingen, verdreifachte sich die Zahl Flugreisender, sagte Cawley. "Argentinien ist wahrscheinlich das letzte Land der Welt, das so eine unglaubliche Möglichkeit bietet." FlyBondi erwartet, dass sich die Zahl der Flugreisenden in Argentinien in zehn Jahren auf 80 Millionen sogar vervierfachen wird.

ALTA-Chef Oliveira sieht letztlich wegen des enormen Wachstumspotenzials des lateinamerikanischen Marktes ebenfalls ein positive Tendenz für Günstigairlines. "Ich denke, dass einige von ihnen sehr erfolgreich sein werden", sagt er, "jedoch eher wegen des Bedarfs der lateinamerikanischen Passagiere denn wegen ihres Geschäftsmodells."

Lesen Sie hier das komplette Interview mit Luis Felipe de Oliveira.
© aero.de | Abb.: Flybondi | 27.01.2018 10:42


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