Airlines
Älter als 7 Tage   EXKLUSIV 

Nervenkrieg vor der LOT-Zentrale

WARSCHAU - Piloten und Cabin Crew von LOT Polish Airlines streiken und fordern die Absetzung von Vorstandschef Rafal Milczarski. Der setzt auf billige Bereederungen und hat 67 Streikenden kurzerhand gekündigt. Das dürfte auch andere Airlines interessieren, die in Polen eine arbeitsrechtliche Exklave suchen.

LOT Polish Airlines ist keine schnelle Durchlaufstation - zumindest war sie das vor ein paar Jahren nicht. Manche Flugbegleiter fliegen seit knapp vierzig Jahren für die Airline, so wie Magda P. (Name von der Redaktion geändert). Besser gesagt, Magda P. flog. Denn vorgestern hat sie ihr Kündigungsschreiben erhalten.

Cabin Crew und Piloten von LOT Polish Airlines streiken
Cabin Crew und Piloten von LOT Polish Airlines streiken, © Agnieszka K.

Der Vorwurf ihres Arbeitgebers: sie habe sich an einem illegalen Streik beteiligt und ihre Pflichten als Arbeitnehmerin verletzt. Streiken wollten Piloten und Cabin Crew von LOT schon seit Mai, doch die Airline konnte den Stillstand zwei Mal in letzter Minute per Gerichtsentscheid verhindern.

"Mit der Entlassung unserer Gewerkschaftsführerin haben sie uns nun die rechtliche Grundlage geliefert", sagt die streikende Stewardess Marta S. (Name von der Redaktion geändert) gegenüber aero.de. Sie arbeitet seit acht Jahren bei LOT.

Seit dem 18. Oktober harren Piloten und Cabin Crew nun täglich von sechs Uhr früh bis 22 Uhr abends vor der Warschauer Zentrale der Airline aus. Zum einen fordern sie bessere Arbeitsbedingungen und eine Neuverhandlung ihrer Gehälter.

Über LOT Polish Airlines
Typ Linienfluggesellschaft
Basis Warschau Chopin
Maschinen 64
Destinationen 94
Routen 127
© Daten bereitgestellt von ch-aviation
Zum anderen wehren sie sich gegen eine einschüchternde Unternehmenskultur, wie sie nach Angaben der Streikenden von der Führungsebene gelebt wird. "Der CEO hat persönlich Mitarbeiter angerufen und ihnen gedroht, sie würden die Folgen einer Streikbeteiligung nicht bezahlen können", berichtet Marta S. aero.de.

"Wir fordern die sofortige Absetzung von Rafal Milczarski", sagt auch Flugkapitän Mariusz G. (Name von der Redaktion geändert), der seit elf Jahren für die Airline fliegt. "Wir trauen ihm nicht zu, irgendwelche Lösungen zu finden." Rafal Milczarski ist seit zwei Jahren bei LOT am Steuer.

Die Berichte der Streikenden zeigen, wie festgefahren das Verhältnis zwischen ihm un den Mitarbeitern ist. Dahinter steht ein gegenteiliges Verständnis von Betriebszugehörigkeit, Unternehmenskultur und Zielsetzungen.

"Die Airline ist unser Zuhause, unser Unternehmen, unsere Familie", sagt Marta S. "Jetzt kommt jemand und sagt dir, dass du nicht mehr gebraucht wirst, weil B2B-Verträge profitabler sind."

Piloten und Cabin Crew streiken am Hauptsitz der LOT Polish Airlines in Warschau
Piloten und Cabin Crew streiken am Hauptsitz der LOT Polish Airlines in Warschau, © ZZPPiL

Weil sie sich für ihr Unternehmen verantwortlich fühlten, waren fliegende Mitarbeiter laut Marta S. 2012 und 2013 bereit, Einschnitte beim Gehalt hinzunehmen, als LOT in finanzieller Schieflage war und mehrfach Hilfe vom Staat benötigte.

Die 67 entlassenen Mitarbeiter waren damals auch dabei und gehören zu denjenigen, die noch einen direkten Arbeitsvertrag mit LOT hatten. Seit dem zweiten Halbjahr 2014 vergibt die Airline davon keine mehr an ihr Kabinenpersonal und setzt stattdessen auf sogenannte B2B-Beschäftigungsverhältnisse.

Darin agieren Arbeitnehmer wie selbstständige Unternehmer und sind entsprechend auch für eigentliche Sozialleistungen wie Krankenversicherung und Elternzeit selbst verantwortlich.

Ein lukratives Modell für den Arbeitgeber, ein teures Risiko für Arbeitnehmer. Denn bezahlt wird nur die eigentliche Arbeitszeit, Fehltage etwa wegen Krankheit werden nicht vergütet. Streiktage sowieso nicht.

Günstiges Modell für Airlines

Attraktive Bedingungen auch für andere Airlines, die ob der Streiklust ihrer Mitarbeiter in westeuropäischen Ländern nach Alternativen Ausschau halten. "(B2B, Red) ist die lokal übliche Vertragsart", sagte Ryanair-Marketingchef Kenny Jacobs am 18. Oktober in einem Interview mit der Nachrichtenagentur "Reuters". "Die gleiche wie bei der staatlichen Airline LOT und anderen."

LOT Polish Boeing 787
LOT Polish Boeing 787, © LOT Polish

Die irische Billigairline versucht derzeit ebenfalls, die polnischen Mitarbeiterverträge gegen den Widerstand der Gewerkschaften auf diese Basis umzumünzen.

Bei LOT sind nach Angaben des Kapitäns Mariusz G. bereits 1.400 Piloten und Cabin Crew-Mitglieder mit der neuen Vertragsbasis beschäftigt. Der Ausgang des jetzigen Streits zwischen Management und Mitarbeitern könnte zum Präzedenzfall werden.

Inzwischen haben andere europäische Gewerkschaften den Streikenden gegenüber ihre Solidarität ausgedrückt, darunter die deutsche UFO. Die Entlassenen wollen ihre Kündigung vor Gericht anfechten.

Sie rechnen sich gute Chancen aus. "Am ersten und am zweiten Tag des Streiks hatte ich Ruhetage", sagt Marta S. "Am dritten und am vierten Tag hatte ich frei. Am fünften Tag hätte ich um kurz nach 19 Uhr zum Dienst erscheinen sollen, das Kündigungsschreiben habe ich aber schon am Mittag bekommen."

Abseits des Rechtswegs hoffen sie auf Unterstützung aus der Politik. "LOT bedeutet Menschen - leidenschaftliche Menschen voller positiver Energie", schreibt die Airline auf ihrer Homepage. "Sie haben das Unternehmen zu dem gemacht, was es heute ist." Zu aero.de-Anfragen in der Sache hat LOT sich bisher nicht geäußert.
© aero.de | Abb.: LOT Polish Airlines, Großbild: Agnieszka K. | 24.10.2018 12:46

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Beitrag vom 24.10.2018 - 14:31 Uhr
B2B sollte wohl eher B2S genannt werden... Business to Slaves...
Das ist genau das Problem wenn man so einen Mist bei einer Firma ungestraft einreißen lässt: Natürlich nimmt sich der nächstbeste Soziopath Ryanair zum Vorbild ...
Derartige "Beschäftigungs"-Verhältnisse gehören Europaweit geächtet.


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