Erstflug in der Wüste
Älter als 7 Tage

Rekordflieger Stratolaunch startet in ungewisse Zukunft

MOJAVE-WÜSTE - Am 13. April 2019 wurde in der Mojave-Wüste in Kalifornien Luftfahrtgeschichte geschrieben: ein seltsam anmutendes Doppelrumpf-Flugzeug mit dem Namen Stratolaunch, angetrieben von sechs Triebwerken, erhob sich zum ersten Mal in den Himmel - und in eine unklare Zukunft.

Ab 6.58 Uhr Ortszeit flog Stratolaunch für zwei Stunden und 29 Minuten, ehe das Flugzeug um 9.27 Uhr problemlos wieder aufsetzte.

Stratolaunch
Stratolaunch, © Scaled Composites

Noch nie in der Luftfahrtgeschichte gab es ein so großes Flugzeug, dessen zwei jeweils gut 72 Meter lange Rümpfe plus die Tragflächen ausschließlich aus Verbundwerkstoff gefertigt waren.

Und noch nie war ein Flugzeug mit derart großer Flügelspannweite vom Boden abgehoben. Sie misst 117,3 Meter und ist damit gut sechs Meter länger als eine Saturn-V-Rakete der NASA aus der Apollo-Ära oder entspricht etwa der halben Länge eines Zeppelin-Luftschiffs der Hindenburg-Klasse.

Kein einziges Flugzeug hat jemals seine Flügel so weit ausgebreitet. Bisheriger Rekordhalter war die Hughes H-4 Spruce Goose von 1947, jenes hölzerne Riesenflugzeug des exzentrischen Milliardärs Howard Hughes, das sich vor knapp 72 Jahren einmalig nur für wenige Sekunden gerade 20 Meter aus dem Wasser hob.

Stratolaunch
Stratolaunch, © Scaled Composites

Die Flügel der Fichtengans waren ganze 20 Meter kürzer als die von Stratolaunch, deren Spannweite wiederum fast 50 Meter größer ist als jene der Boeing 747-8.

Offenbar braucht es exzentrische Milliardäre um außergewöhnliche Fluggeräte zu schaffen, wie die Beispiele von 1947 und 2019 beweisen. Denn Stratolaunch ist ein Projekt des Microsoft-Mitgründers Paul Allen, der im Oktober 2018 gestorben ist, nachdem er zuvor nach Branchenschätzungen etwa eine Milliarde US-Dollar in das Projekt gepumpt hatte.

Die Idee war, Stratolaunch als fliegende Raketenstart-Plattform zu nutzen und dafür neben dem Trägerflugzeug auch eigene Raketenantriebe, eine ganze Familie an Trägerraketen und sogar eine Raumfähre zu entwickeln.

Stratolaunch
Stratolaunch, © Scaled Composites

Dazu wird es nicht kommen, wie Stratolaunch im Januar mitteilte. Selbst der Erstflug des Trägerflugzeugs schien gefährdet, nachdem die Firma ihre Belegschaft stark reduziert hatte und die Erben von Paul Allen kein Interesse an dem Projekt zeigten.

Wie es nach dem Erstflug weitergeht ist daher ungewiss. Vor allem weil sich die Marktlage für Satellitenstarts verändert hat und Stratolaunch sich auf Starts der Pegasus XL-Rakete von Northrop Grumman beschränken will anstelle eine Familie eigener Weltraum-Vehikel zu entwickeln, die zunächst geplant waren.

Die Wettbewerbslage ist angespannt, verfügt doch Northrop seit 1994 selbst über ein umgebautes Passagierflugzeug vom Typ Lockheed TriStar mit dem bereits weit über hundert Satelliten ins All gebracht wurden.

Auch der britische Milliardär Richard Branson mischt mit seiner Firma Virgin Orbit mit, seit 2017 ist eine früher bei Virgin Atlantic Airways im Passagierverkehr eingesetzte Boeing 747-400 als Raketenstart-Plattform im Dienst von Virgin Orbit.

Eine Boeing 747-400 als Raketenstart-Plattform im Dienst von Virgin Orbit
Eine Boeing 747-400 als Raketenstart-Plattform im Dienst von Virgin Orbit, © Virgin Orbit

Sie soll Launcher One-Raketen aus einer Höhe von 11.000 Metern starten, aufgehängt wird die Rakete an einem Pylon zwischen dem Rumpf und dem linken inneren Triebwerk.

Und bei Richard Bransons Weltraumaktivitäten schließt sich auch der Kreis zum Stratolauncher. Denn die Firma Scaled Composites des genialen Konstrukteurs Burt Rutan zeichnet sowohl für das Design von Stratolaunch verantwortlich als auch für die Trägerflugzeuge und Raumschiffe von Virgin Galactic.

Das ist jene Firma Bransons die seit Jahren verspricht, bald zahlende Passagiere auf einem mehrstündigen Trip für wenige Minuten Schwerlosigkeit ins All und zurück zu bringen.

Stratolaunch ist eine Art Meisterstück von Burt Rutan, der mit dieser Idee bereits seit über 20 Jahren geliebäugelt hatte. Seit 2011 arbeitete Scaled Composites mit Stratolaunch, allerdings ging es auch hier wesentlich langsamer voran als erwartet und selbst zu Jahresbeginn 2019 schien noch fraglich, ob das Flugzeug nach dem Tod seines Finanziers überhaupt jemals abheben würde.

"Organspenden" von zwei 747-400

Der erfolgreich absolvierte Erstflug ist nun für Scaled Composites ein wichtiger Meilenstein, die Firma bringt seit 37 Jahren im Schnitt ein neues Flugzeug pro Jahr in die Luft, stets gefertigt aus Verbundwerkstoff.

Entscheidendes Kriterium bei der Bauweise waren möglichst niedrige Entwicklungs- und Materialkosten, "daher haben wir Rümpfe mit flachen Seitenwänden und eine gerade Tragfläche als wesentliche Designmerkmale gewählt", erklärt die Firma.

Außerdem wurden viele Komponenten aus zwei ausrangierten Boeing 747-400 transplantiert – die sechs Pratt & Whitney PW4056-Turbofan-Triebwerke stammen ebenso aus den alten Jumbos wie das Cockpit, Avionik-Instrumente, das Fahrwerk mit 28 Rädern, Stellmotoren für Ruder und Klappen und andere bewährte Systeme.

Insgesamt stammen etwa 113 der maximal 590 Tonnen Startgewicht aus den Second-Hand 747. Die Piloten befinden sich im Cockpit in der Nase des rechten Rumpfes, die Nase auf der linken Seite ist unbemannt, aber ebenfalls mit Kabinendruck ausgestattet, hier befinden sich Tanks mit flüssigem Stickstoff und Pressluft sowie Avionik und andere Instrumente für die Raketenstarts.

Hinter den Frontbereichen auf beiden Seiten befinden sich Druckschotts, der restliche Teil der Rümpfe fliegt ohne Kabinendruck. Die Missionsdauer kann zwischen zwei und acht Stunden betragen, wobei der typische Radius einer Mission nur bei gut 1.800 Kilometern liegt.

Stratolaunch-Erstflug
Stratolaunch-Erstflug am 13.04.2019, © Stratolaunch

Und neben der größten Spannweite und dem Rekord als größtes geflogenes Flugzeug aus Verbundwerkstoff hat der Erstflug zwei weitere Rekorde produziert: Stratolaunch verfügt mit sechsmal 205 bis 296 kN (jeweils gut 20 Tonnen) Schub über den stärksten Antrieb eines Flugzeugs jemals - und es enthält das größte je geflogene Einzelteil aus Verbundwerkstoff.

Angekündigt ist ein anderthalbjähriges Testprogramm bis zur Zulassung und auch ein Teststart einer Pegasus-Rakete, von der Stratolaunch drei auf einmal tragen kann. Trotzdem scheint derzeit unsicher, ob der Riese überhaupt nochmal fliegt - und sich damit einreihen würde in die eher unrühmliche Geschichte der größten Flugzeuge der Welt.

Die Spruce Goose war kein Erfolg, das einzige Exemplar des sechsstrahligen russischen Riesenjets Antonow An-225 auch nur begrenzt und der Airbus A380 ebenfalls nicht in nachhaltiger Weise. Lediglich die jetzt 50 Jahre alte Boeing 747 schrieb eine beeindruckende Erfolgsgeschichte.
© Andreas Spaeth | Abb.: Stratolaunch | 22.04.2019 08:51

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Beitrag vom 23.04.2019 - 18:01 Uhr
ist das Konzept in Zeiten von SpaceX überhaupt noch konkurrenzfähig?

Wenn ich das richtig lese kann man damit die ersten 10km für einen Raketenstart überbrücken: dafür ist das schon sehr viel Aufwand, der hier betrieben wird...

Kommt drauf an, die ersten 10km Höhe und 1000km/h delta-V auf dem Weg nach oben verursachen einen erheblichen Anteil des Energiebedarfs eines Raketenstarts.
Darüber sinken Luftdruck und Windwiderstand erheblich.
Zudem lassen sich die Brennkammern von Raketentriebwerken optimaler gestalten, wenn sie bei einem Luftdruck unter 10km Höhe nicht mehr funktionieren müssen.

Allein die freie(re) Wahl von Startwinkel und -Ort kann für manche Bahnparameter ein entscheidender wirtschaftlicher Faktor sein.

Ob das unter den aktuellen finanziellen Rahmenbedingungen noch eine Rolle spielen wird, ist allerdings fraglich ...
Beitrag vom 23.04.2019 - 15:17 Uhr
ist das Konzept in Zeiten von SpaceX überhaupt noch konkurrenzfähig?

Wenn ich das richtig lese kann man damit die ersten 10km für einen Raketenstart überbrücken: dafür ist das schon sehr viel Aufwand, der hier betrieben wird...


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