Bericht zu ET302
Älter als 7 Tage  

Trimmautomatik MCAS griff irrtümlich ein

ADDIS ABEBA / SEATTLE - Boeing-Konzernchef Dennis Muilenburg hat nach Vorliegen des ersten äthiopischen Zwischenberichts bestätigt, dass die neue Trimmautomatik MCAS bei beiden Abstürzen von Boeing 737 MAX beteiligt war. Das System hat sich offenbar irrtümlich aktiviert.

Die endgültigen Daten werden erst mit den Abschlussberichten der jeweiligen Regierungsbehörden veröffentlicht, sagte Muilenburg, aber nach den jetzt bereits bekannten Daten sei eine Aktivierung des Maneuvering Characteristics Augmentation System (MCAS) in beiden Fällen anzunehmen.

Boeing 737 MAX
Boeing 737 MAX, © Safran

Das System habe sich irrtümlich eingeschaltet, weil es fehlerhafte Anstellwinkeldaten erhalten habe. MCAS greift über die Höhenleitwerkstrimmung in die Steuerung ein und zwingt die Nase abwärts, falls sich das Flugzeug im Langsamflug ohne Klappen zu stark aufzubäumen droht.

Der am Donnerstag von den äthiopischen Behörden veröffentlichte Zwischenbericht (PDF) hatte die Störung eines Anstellwinkelsignals von einer der beiden Sonden verzeichnet. Kurz nach dem Abheben hatte die linke Sonde einen, völlig abwegigen, Anstellwinkel von 74,5 Grad gemeldet, während rechte Sonde 15,3 Grad registrierte.

Die linke Sonde bewirkte das Auslösen des "Stickshakers", eines Warnrüttlers am Steuerhorn und ein irrtümliches Eingreifen der Trimmautomatik MCAS. Die Besatzung stellte daraufhin, wie von Boeing empfohlen, den elektrischen Trimmmotor ab und versuchte mit Hilfe des ihr verbliebenen rein mechanischen Trimmrads die durch MCAS vorher verursachte kopflastige Trimmlage wieder auf neutral zurückzustellen.

Flugverlauf ET302
Flugverlauf ET302, © AIB

Währenddessen beschleunigte das Flugzeug auf die maximal zulässige Geschwindigkeit, bei der hohe Luftkräfte an den Rudern das mechanische Trimmen stark erschweren oder sogar verhindern können. Deshalb aktivierte die Besatzung nun ausnahmsweise doch noch einmal den elektrischen Trimmmotor, um sich beim Trimmen helfen zu lassen.

Die Aktivierung verschaffte jedoch auch dem MCAS-System eine erneute, immer noch irrtümliche Eingriffsmöglichkeit, gegenläufig zum Willen der Piloten. Die Besatzung verlor die Kontrolle und konnte den Sinkflug mit einem steilen Einschlag nicht mehr abwenden.

Softwareupdate 12.1

Muilenburg erklärte, Boeing bedaure die Opfer, entschuldige sich und bekenne sich verantwortlich, alle Risiken zu beseitigen. Man drücke allen Betroffenen tiefe Anteilnahme aus. Boeing habe bereits eine Software-Modifikation entwickelt, die gleichartige Unfälle wie Lion Air 610 und Ethiopian Airlines 302 ausschliesse.

Das Update 12.1 wird den Regelbereich und die Eingriffsintervalle der Trimmautomatik einschränken. Das MCAS soll sich laut Boeing zudem von selbst sperren, wenn die Werte der Anstellwinkelsensoren während eines Flugs länger als zehn Sekunden um mehr als 5,5 Grad voneinander abweichen.

Der Konzernchef hatte sich die Änderungen bei einem Testflug im Cockpit einer Boeing 737 MAX 7 erläutern lassen. In der Nacht auf Freitag musste Muilenburg ein weiteres Softwareproblem der 737 MAX einräumen.
© FLUG REVUE - Sebastian Steinke | Abb.: Safran | 05.04.2019 16:21

Um einen Kommentar schreiben zu können, müssen Sie sich bei aero.de registrieren oder einloggen.

Beitrag vom 07.04.2019 - 07:25 Uhr
@ fbwlaie
Weshalb hat Boeing nicht einen Hinweis gegeben, dass nach dem cut off der automatischen Trimmung ggf. der Schub zu reduzieren ist und dass mit erheblichem Kraftaufwand zu rechnen ist, wenn nach unten automatisch getrimmt wurde?

Die eiserne Regel in einem Abnormal Fall ist immer FLY, NAV, COM
Gerade der erste Teil FLY ist natürlich überaus anspruchsvoll. Um, gerade einen Jet, wieder unter Kontrolle zu bekommen, ist es wichtig in die Basic Modes zu kommen. Dazu gehören bei jedem Jet eine gewisse Pitch und die dazu passende gesetzte Power.
Viele Airlines trainieren ihre Piloten, in Abstimmung mit den Herstellern, allerdings die automatische Schubregelung zu nutzen. Diese Automatik setzt allerdings den Schub, den ihr eigener Computer gerade für angebracht sieht. Das kann Leerlauf, max Schub oder auch irgendwas dazwischen sein.
Wichtig ist nur, daß der Schub und die Pitch eigestellt ist, die der Pilot für die entsprechende Phase angebracht sieht.

Airbus hat dazu die so genannten "Golden Rules" erstellt, die klar regeln was zu tun ist, wenn die Dinge nicht so laufen wie man erwartet.
Das kann eine maximale Nutzung der Automatik sein oder auch der Schritt zu den Basic Modes, um das System wieder aufzubauen.

Die Situation in der sich die Piloten der beiden B737 Max befunden haben war sicherlich hochkomplex und hat die Grenzen überschritten, die normalerweise im Simulator erflogen werden. Boeing hat ja eine Handlungsanweisung nach dem Lion Air Absturz herausgegeben, im Unfallbericht unten angehängt. Die Piloten haben sich auch genau an diese Anweisung gehalten.
Ob sie allerdings die Möglichkeit hatten diese Situation vorher im Simulator zu trainieren ist recht unwahrscheinlich.
Solche Trainings müssen von den Trainingsabteilungen erst einmal erarbeitet werden und die Crew muss auch ein solches SIM Training erst einmal eingeplant bekommen.

Boeing hat sicherlich im Simulator alles nachgeflogen und so auch die Handlungsanweisung erarbeitet. Allerdings ist man im Simulator gut auf solche Fehler vorbereitet und kann die Situation entsprechend lösen.

Nun ist es seit Beginn der Fliegerei aber auch so, daß man aus jedem Unfall lernt und die Verfahren anpasst.
Jeder Hersteller von Flugzeugen kann ein Lied davon singen.
Jede Airline macht alles was möglich ist, um ihre Crews auf den höchsten Ausbildungsstand zu bringen.

Die größte Airline Deutschlands schult ihre Piloten auf allen Mustern:
Manual Flight - Manual Thrust


Dieser Beitrag wurde am 07.04.2019 07:26 Uhr bearbeitet.
Beitrag vom 06.04.2019 - 23:01 Uhr
... wobei der infrage stehende Sensor vor dem Lion Air Vorfall ausgetauscht worden sein soll...
Was war am defekten AoA-Sensor nicht in Ordnung? Der war doch beim Start unproblematisch und machte bei der Landung Ärger.
Wie häufig müssen AoA-Sensoren ausgetauscht werden?
Beitrag vom 06.04.2019 - 22:56 Uhr
@CptGudi,

wenn man die automatische Trimmung ausser Betrieb setzt bzw.setzen muss, sollte man sich auch über den Schub gedanken machen. Beim Sinkflug mit Vollgas kann man auch die Kontrolle über die manuelle Trimmung verlieren!
Wird das nicht im Sim mal gezeigt?


Stellenmarkt

Schlagzeilen

aero.uk

schiene.de

Meistgelesene Artikel

Community

Thema: Pilotenausbildung

FLUGREVUE 04/2024

Shop

Es gibt neue
Nachrichten bei aero.de

Startseite neu laden