Boeing-Krise
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War die 737 MAX eine Fehlentscheidung?

Ethiopian Airlines Boeing 737 MAX 8
Ethiopian Airlines Boeing 737 MAX 8, © Boeing

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WIEN - Die 737 MAX kommt Boeing teuer zu stehen. Auf den Konzern rollt eine Klagewelle zu, die Milliarden verschlingen wird. Boeing hat ein technisch nicht ausgereiftes Flugzeug gegen interne Kritik in den Markt gepeitscht - doch der Konkurrenzdruck durch die A320neo war nicht der einzige Grund für die MAX.

Anfang der 2010er Jahre kam Boeing um eine weichenstellende Entscheidung nicht umhin: Airbus hatte mit Ankündigung der A320neo vorgelegt. Ein erwarteter Bedarf von 21.000 neuen 200-Sitzern bis 2030 setzte Boeing zusätzlich unter Zugzwang.

Die Frage war nur: Neuentwicklung oder ein weiteres Upgrade der bald 50 Jahre alten 737-Grundkonstruktion? aero.at hatte im Herbst 2011 Gelegenheit zu einem Gespräch mit Drew C. Magill, damals Marketing-Direktor bei Boeing Airplanes.

"Unsere Kunden brauchen die neue Maschine so schnell wie möglich und in Stückzahlen, die eine massive Ausweitung der Produktion erfordern", rührte der Manager in Wien die Werbetrommel für die 737 MAX. "Wir konnten in den letzten zehn Jahren die Effizienz der 737 zwar um sieben Prozent verbessern, aufgrund der Spritkosten wollen die Kunden jetzt aber mehr - und das sehr bald", so Magill.

Airbus hatte Boeing mit der A320neo auf dem falschen Fuß erwischt. Je länger sich Boeing gegen eine Neuentwicklung der 737NG sträubte, desto mehr Kunden verlor der Konzern an den europäischen Konkurrenten.

Gegenüber einem völlig neuen Flugzeug sollte ein Reengining mit CFM LEAP-1B Triebwerken die neue Antriebstechnologie nicht nur schneller auf den Markt bringen, sondern auch den Ausbau der Produktionskapazitäten erleichtern. Laut Magill plante Boeing zu jener Zeit mittelfristig mit einem Monatspensum von 60 Maschinen.

"Das waren die Gründe, warum wir uns für die MAX entschieden haben", fasste Magill die wichtigsten Ausschlaggeber zusammen. Neben Zeitrahmen und Ressourcen hätten bei der Entscheidung auch die Entwicklungskosten eine große Rolle gespielt. Magill bezifferte die Kosten für die Entwicklung der MAX mit lediglich "10 bis 15 Prozent" einer kompletten Neuentwicklung.

Ein Nebenaspekt pro MAX war, dass Boeing in ein völlig neues Flugzeug auch Erfahrungen mit der neuen Technologie der 787 einfließen lassen wollte - die war aber gerade erst flügge.

Kompromiss mit fatalen Folgen


Wichtige Design-Eckpunkte der MAX waren eine weitgehende Kommunalität mit der noch auf der ursprünglichen 737-100 basierenden Zertifizierung - ein Hundertsitzer aus den 60er Jahren - sowie ein gemeinsames Typerating für Piloten der NG-Reihe.

In Folge beschränkten sich die Hardware-Modifikationen an der inzwischen auf eine Kapazität von über 200 Sitzen angewachsenen Maschine im wesentlichen auf die Höherstellung und Stärkung des Fahrwerks, um genügend Bodenfreiheit für die größeren und schwereren CFM-Triebwerke zu schaffen.

Der dadurch verschobene Systemschwerpunkt hatte allerdings Auswirkungen auf die Aerodynamik und zeigte in bestimmten Fluglagen ein heikles Ansprechverhalten. Boeing setzte auf eine software-basierte Trimmkorrektur mit hoher Autorität: das Maneuvering Characteristics Augmentation System, kurz MCAS.

Nach zwei schweren Unfällen mit 346 Todesopfern geriet diese Lösung unter massive Kritik, auch aus Reihen der hauseigenen Technik, die bereits im Vorfeld vor gravierenden Schwachstellen gewarnt haben soll.

Kritisiert wurde auch der Mangel an Information für Piloten, die unzureichende Kenntnis über selbsttätige Eingriffe des MCAS gehabt hätten. Dazu kamen Ungereimtheiten bei der Zulassung durch die Flugaufsichtbehörde FAA.

Von dem im März 2019 von den Flugaufsichtsbehörden in Nordamerika, Europa und China verhängten Flugverbot sind inzwischen über 800 Flugzeuge betroffen, davon 387 bereits ausgelieferte Maschinen. Auf Halde parken 737 MAX in zweistelligem Milliardenwert.

Derzeit ist auch die Wiederaufnahme der zum Jahresanfang gestoppten Produktion nicht absehbar, sowohl bei Boeing als auch den zahlreichen Zulieferunternehmen. Massive Produktionsausfälle verzeichnen aber auch die betroffenen Airlines. Mit einer Jahreskapazität von rund 250 Millionen Sitzen entspricht die geparkte MAX-Flotte inzwischen in etwa dem Volumen des gesamten Wachstums der Branche für das laufende Jahr.

Kein Plan B für Boeing-Kunden


Keinen Vorteil von Boeings Problemen haben indessen auch die Mitbewerber, Chinas und Russlands Neuentwicklungen C919 und MS-21 haben noch keine Zulassung und Airbus ist mit über 7.000 Aufträgen für ihr A320neo-Programm bis weit in die neue Dekade hinein ausgebucht.

Angesichts eines offenen Auftragbestands von knapp 5.000 737 MAX und der Beendigung des NG-Programms hat Boeing keine andere Alternative als das Problem auf dem eingeschlagenen Weg in den Griff zu bekommen. Dem wird sich auch die neue Konzernführung stellen müssen. CEO Dennis Muilenburg trat inzwischen zurück, ihm folgt David Calhoun - ein Finanzexperte.

Für die seit 2017 in Serienproduktion befindliche MAX ist eine tiefer greifende Modifikation der Hardware nicht mehr möglich - Boeing muss liefern, was bereits zertifiziert ist. Für eine neue MAX fehlen dem OEM sowohl Zeit als auch die Mittel. Beides wird Boeing aber brauchen. 
© Bob Gedat, aero.at | Abb.: Boeing Company | 12.01.2020 10:16

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Beitrag vom 17.01.2020 - 04:04 Uhr
Für sind so offene Fragen:
Wäre eine 737 MAX ohne MCAS zulassungsfähig? Da glaube ich auch nur Aussagen von Zulassungsbehörden.
Warum hat man ziemlich am Ende der Entwicklung der MAX den Eingriff vom MCAS so erhöht? Der Grund muss ja noch vorliegen und auch jetzt noch ein Problem darstellen. Wie will man das in den Griff bekommen ohne so ein hartes Trimmen vom MCAS?
Wenn mal die AoA wieder falsche Wert liefern und das MCAS abschaltet, wie will man dann trimmen? Muss man das Trimrad ändern oder reicht ein Switch um das MCAS separat deaktivieren zu können.
Ist das alles noch mit dem grand fathering zertifizierbar?

Das sind Infos die ich gerne hätte.

Leehman meint ja, das die Max ohne MCAS ein sicheres Flugzeug ist. Dafür müsste man aber wissen was für ein Pitch up moment der flieger entwickelt und ob der Pilot das recovern kann.
Achtung hier vermutung: Es liegt dann wohl an der Zulassung, das man eben dieses Verhalten des Fliegers wegbekommen muss um ihn ohne unterschied zur NG fliegen zu können.
@FW 190: Das die Physik dagegen spricht, volle zustimmung. Aber die spricht doch gegen das Fliegen an sich:)

Sollte dem so sein, ist mir einfach absolut unklar warum man MCAS so ausgelegt hat. Der Regelbereich muss ja eine Ursache haben, der wurde ja nicht grundlos so verschärft.

Das ist eigentlich die Grundfrage: Braucht die Max Mcas aus "kosmetischen" Gründen damit man Boeings Zusagen an die Kunden einhalten kann (Zulassungsbeding, sonst fliegt sie anders als die NG), oder braucht die Max MCAS damit es bei großen ALphas nicht kritisch wird?
Oder beides?
Vermutlich muss MCAS nur das Verhalten angleichen, aber wenn das so massive eingriffe erfordert, passt doch was gewaltig nicht?

Und dann bleibt immer noch die Frage, wer hat das so ausgelegt, und warum? Das muss doch aufgefallen sein?
Insgesamt habe ich das Gefühl, das die ganze Wahrheit da noch nicht ans Licht gekommen ist, und ich habe die befürchtung das Boeing MCAS ganz bewusst so ausgelegt hat und die Sache schon einen Grund hat.
Denn MCAS ist wirklich gegen jede Grundlage der Flugzeugkosntruktion entwickelt, es ist eigentlich völlig lögisch und naheliegend wenn man 2 AoA Sensoren hat einen Datenabgleich zu fahren, da kann mir auch keiner was von Prozessorlast etc. erzählen, das ist selbst für einen 286 eine simple Operation, das kurz zu validieren.
Das wird schon einen Grund haben warum man das so gemacht hat, dafür spricht ja auch das eine solche Änderung extrem schnell möglich wäre, zumal bei einer Software die man ja eigentlich nicht im Flugbetrieb braucht.

Was ich auch nicht verstehe, die Aerodynamischen Auswirkungen der geänderten Tirebwerksposition muss doch bei der FAA mal auf den Tisch gekommen sein bei der Zulassung?
Beitrag vom 16.01.2020 - 13:27 Uhr
Für sind so offene Fragen:
Wäre eine 737 MAX ohne MCAS zulassungsfähig? Da glaube ich auch nur Aussagen von Zulassungsbehörden.
Warum hat man ziemlich am Ende der Entwicklung der MAX den Eingriff vom MCAS so erhöht? Der Grund muss ja noch vorliegen und auch jetzt noch ein Problem darstellen. Wie will man das in den Griff bekommen ohne so ein hartes Trimmen vom MCAS?
Wenn mal die AoA wieder falsche Wert liefern und das MCAS abschaltet, wie will man dann trimmen? Muss man das Trimrad ändern oder reicht ein Switch um das MCAS separat deaktivieren zu können.
Ist das alles noch mit dem grand fathering zertifizierbar?

Das sind Infos die ich gerne hätte.
Beitrag vom 16.01.2020 - 12:18 Uhr
@David Webb,

Leeham führte da auch an, das eine seltenst auftretende Stall Recovery eigentlich kein Problem ist (Boeing Philosophie - Im Zweifel wirds der Pilot schon richten). Dem kann ich zustimmen - wenn MCAs wirklich nur bei Manövern jenseits 1,5/2G wirklich sicherheitsrelevant wird, frage ich mich warum das überhaupt so gemacht wurde. Welcher Pilot fliegt seine Kiste in dem Bereich mit Pax drin?

Es war im vorigen Jahr, kurz nach dem 2. Absturz zu irgendwo lesen, dass für die Zulassung ein bestimmtes scharfes Ausweichmanöver geflogen werden muss ohne das der Flieger in den stall gerät. (z.B. Ausweichmnöver bei Intrudern die im VFR Bereich auftauchen, Lübeck oder Münster Osnabrück waren deshalb doch schon mal in den Schlagzeilen). Bei max. bank scharf am HR ziehen ohne das max alpha überschritten wird war wohl das Problem durch des selbstverstärkende pitch up moment - das ja auch zudem von den großen Fantriebwerken verstärkt wird.

War aber schon beim 1. Fan Triebwerk 1984/85 ein Problem das man dann aber durch die Abflachung in den Griff bekam indem es weit genug abgesenkt werden konnte. Altes aerodynamisches Design trifft auf moderne (noch größere) große Triebwerke. Blöde Physik.

Dieser Beitrag wurde am 16.01.2020 12:20 Uhr bearbeitet.


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