Frisches Geld für den Überschalljet
Älter als 7 Tage  

Boom-Projekt heißt jetzt Overture

DENVER - Das amerikanische Unternehmen Boom nennt seinen Überschalljet nun "Overture" und hält an seinem Plan fest, eine Renaissance des Überschall-Passagierverkehrs einzuleiten. Die weitere Finanzierung des ehrgeizigen Projekts scheint dank neuer Gelder fürs Erste gesichert.

Bis zu 55 Passagiere mit einem Reisetempo von Mach 2.2 von A nach B befördern - und das auch noch möglichst profitabel, sicher und umweltschonend. Mit diesem ambitionierten Ziel ging 2014 das Unternehmen Boom aus Colorado an den Start.

Boom Supersonic
Boom Supersonic, © Boom Supersonic


Dem scheint das Startup nun einen wichtigen Schritt nähergekommen zu sein - zumindest finanziell: In einer Pressemitteilung vom 4. Januar 2019 verkündet Boom das erfolgreiche Ende seiner jüngsten Investitionsrunde. Diese habe dem Projekt frisches Geld in Höhe von 100 Millionen US-Dollar beschert.

Die Gesamtfinanzierung belaufe sich somit nun auf über 141 Millionen US-Dollar. Damit soll die weitere Entwicklung des geplanten Supersonic-Passagierjets, der nun auf den klangvollen Namen "Overture" hört, vorerst sichergestellt sein.

Zu den Kapitalgebern gehören laut Boom sowohl Investment-Firmen wie Emerson Collective, Caffeinated Capital und SV Angel als auch die Unternehmen Google, Airbnb, Stripe und Dropbox.

Überschall ohne schlechtes Gewissen

"Mit dieser neuen Finanzierung können wir die Arbeit an Overture weiter vorantreiben", frohlockt Blake Scholl, Gründer und Chef von Boom Supersonic. "Ziel bleibt es, das erste wirtschaftlich rentable Überschallflugzeug für den Passagierverkehr zu bauen."

Gleichzeitig sei Overture der umweltfreundlichste Überschalljet, der je gebaut wurde. Dank ausgeklügelter Aerodynamik und emissionsarmer Triebwerke soll der CO2-Fußabdruck des neuen Überschalljets nicht höher sein als jener von modernen konventionellen Passagierflugzeugen. Als Maßstab für die Wirtschaftlichkeit von Overture orientiert sich Boom am großen Überschalljet-Vorbild vergangener Tage, der Concorde.

"Falls wir es schaffen, den Concorde-Kerosinverbrauch pro Sitz nur um 30 Prozent zu unterbieten, könnten wir einen Überschall-Passagiersitz für die gleiche Kraftstoffmenge anbieten, die ein heutiger, flacher Business-Class-Schlafsessel im Unterschallverkehr verbraucht", sagt Blake Scholl über den kaufmännischen Schlüssel seiner Kalkulationen.

Einen Ticketpreis von 5.000 Dollar setzt der als IT-Unternehmer in der Bay Area und bei Amazon sehr wohlhabend gewordene Scholl für einen transatlantischen Beispielflug von New York nach London und zurück an. Diesen Preis eines heutigen Business-Class-Tickets will er mit seinem Projekt "Boom" erreichen.

Demonstrator soll 2019 fliegen

Die 2014 gegründete Firma Boom will dafür mit Overture ein völlig neues Überschall-Verkehrsflugzeug entwickeln, das ab Mitte der 2020er Jahre in Dienst gestellt werden soll.

Schon zuvor, im Lauf des Jahres 2019, soll der stark verkleinerte, zweisitzige Demonstrator XB-1 gebaut werden und zum Erstflug starten. Am Steuer des Versuchsflugzeugs soll Boom-Cheftestpilot Bill "Doc" Shoemaker sitzen.

Boom Supersonic
Boom Supersonic, © aero.de


Ein konkretes Datum für den Jungfernflug der XB-1 nennt Boom jedoch nicht. Ursprünglich war dieser gar für Ende 2018 angekündigt gewesen. Bisher beschränken sich die Versuche auf Windkanaltests mit einem aktualisierten Modell der XB-1.

Der Strömungsverlauf an dem düsenjägerartigen Doppelsitzer wird sichtbar, indem man das Modell zwischen den Windkanalläufen mit einer milchigen Paste aus Kerosin und Kreide einschmiert. Die Kreide läuft mit der Strömung über das Modell und trocknet fest, sobald das Kerosin verdampft. 30 Prozent sparsamer als die Concorde

Außerdem nutzen die Forscher Laserstrahlen, die Markierungsrauch aus einer Sonde im dann abgedunkelten Windkanal als Verwirbelung "scheibchenweise" sichtbar machen. Drei General-Electric-J85-21-Triebwerke sollen die doppelsitzige XB-1 auf 2335 km/h beschleunigen, ohne Nachbrenner wohlgemerkt.

Die von Boom versprochenen mindestens 30 Prozent Ersparnis gegenüber der Concorde hält Blake Scholl beim Projekt Overture für "sicher" machbar. Eher noch mehr, ist der Unternehmer zuversichtlich. Er habe noch Puffer einkalkuliert.

Neue Werkstoffe, insbesondere der Leichtbau in Kohlefaser-Verbundbauweise, machten heute sehr feste und temperaturbeständige 3D-Strukturen möglich, die man zu früher nicht gekannten, günstigen Berechnungskosten im Computermodell selbst entwickeln könne. Auch viele Windkanaltests ließen sich heute kostensenkend und schneller im Computer durchführen.

Hitzebeständiges Harz

Neue Kunstharze machten den Überschalljet zudem gegen die hohen Temperaturen bei Überschalltempo weniger empfindlich. Dies sei bei der in Aluminiumbauweise hergestellten Concorde noch anders gewesen. Diese habe an der Nasenspitze Temperaturen von bis zu 127 Grad Celsius erreicht.

Boom Supersonic
Boom Supersonic, © aero.de


Ihre höchstzulässige Materialtemperatur, nicht die Triebwerksleistung, habe die Höchstgeschwindigkeit der Concorde begrenzt. Statt mit Mach 2 wie bei der Concorde will Boom, auch dank der neuen Verbundwerkstoff-Struktur, mit Mach 2.2 fliegen.

Bis zu 174 Grad Celsius wirken dabei auf das Material. Im Reiseflug soll die 68 Tonnen leichte Boom 2,6-mal so schnell wie normale Unterschallverkehrsflugzeuge sein. Die Beispielstrecke von New York nach London wäre in dreieinhalb Stunden machbar, bei einem Ticketpreis von 2.500 Dollar einfach.

Auf Talentsuche in Mojave

Um seine Ideen für den neuen Überschalljet praktisch umzusetzen, ging Blake Scholl auf die Suche nach dem passenden Personal. Viele Male ging er, selbst am Steuer einer kleinen, einmotorigen Cirrus sitzend, auf Rekrutierungsreise vom heimatlichen Palo Alto aus nach Mojave, unweit von Edwards, um dort die verschwiegenen Talentschmieden zu besichtigen und deren erfahrene Mitarbeiter abzuwerben.

Schließlich tüftelt hier die Crème de la Crème der US-Luftfahrtingenieure hinter verschlossenen Türen futuristische Projekte aus. Die von Scholl ausgewählten Schlüsselmitarbeiter durften jeweils Listen ihrer persönlichen Wunschkollegen einreichen, die Scholl anschließend auch noch anheuerte.

Sein junges Team hochtalentierter Mitarbeiter, es war zuvor an 40 unterschiedlichen Flugzeugprogrammen und bei Tests mit bis zu Mach 3 beteiligt, wuchs schnell. Inzwischen sind laut Boom-Angaben mehr als 100 Vollzeitbeschäftigte am Projekt beteiligt - eine Zahl, die Blake Scholl 2019 sogar noch verdoppeln möchte.

Trotzdem soll das Team möglichst harmonisch zusammenarbeiten, um die administrative Schwerfälligkeit und die Eifersüchteleien großer Konzerne zu vermeiden. So hofft Scholl, schneller und billiger ans Ziel zu kommen. Größere Teile will Boom außerdem bei externen Spezialfirmen zukaufen oder dort im Auftrag fertigen lassen.

Überschallflug über Land?

Unternehmenssitz von Boom ist der Centennial Airport von Denver in Colorado. Hier hat die Firma den früheren Hangar des verstorbenen Country-Sängers John Denver übernommen. Mithilfe eines Modells von "Baby Boom" warb der talentierte Redner und Präsentator Blake Scholl hier bereits genug Investoren, um im Frühjahr 2017 den Eingang von 41 Millionen Dollar Wagniskapital vermelden zu können.

Dieses Geld, so verkündete Scholl damals, reiche aus, um die kleine XB-1 zu realisieren und in die Luft zu bringen. Ein Pilot und ein Testingenieur finden an Bord des Dreistrahlers Platz.

Dessen Überschalltests sollen nahe der Edwards Air Force Base erfolgen. Dort gibt es über der Wüste den einzigen für zivile Land-Überschallflüge über den USA zugelassenen Testflug-Luftraum.

Ansonsten verbietet die US-Luftfahrtbehörde FAA jeglichen zivilen Überschallflug über Land. Dieses feste, behördliche Tempolimit, es gilt bisher völlig unabhängig vom erzeugten Lärm, will Boom möglichst aufweichen.

Im Überflug erzeuge Overture am Boden "nur" einen Lärmteppich von 85 dB(A), das entspricht dem Lärm eines vorbeifahrenden Lastwagens. Damit seien auch Land-Überschallflüge zumutbar. Die Freigabe dafür würde Boom den lukrativen US-Transkontinentalmarkt von Küste zu Küste erschließen. Hier führen die Routen oft über menschenleere Prärie.

Präsentation ohne technische Details

Mit welchen technischen Finessen Boom seine versprochenen Leistungen und den "leisen" Überschallknall im Detail erreichen will, darüber halten sich die Amerikaner noch bedeckt.

Neben dem fortgeschrittenen CFK-Leichtbau, einer strömungsgünstigen Formgebung nach der altbekannten Flächenregel und neben stark optimierten Detailformen sollen zum Beispiel die weit nach vorne gezogenen, sogenannten "Chines" am fortschrittlichen Deltaflügel mit gepfeilten Flügelhinterkanten und eine spezielle Formgebung der Lufteinläufe Schlüsselelemente der Konstruktion sein.

Die verstellbaren Lufteinläufe müssen im Reiseflug den überschallschnell eintretenden Luftstrom auf für die Triebwerke verdauliches Unterschalltempo bringen. Militärisches Triebwerk ohne Nachbrenner

Für den großen Boom-Passagierjet gebe es bereits ein modernes, überschalltaugliches Honeywell-Turbofan-Triebwerk ohne Nachbrenner aus einem mili­tä­rischen Marschflugkörper-Programm, deutet Blake Scholl an. Das Nebenstromverhältnis soll im "mittleren" Bereich liegen. Der Abgasstrom tritt durch eine speziell entwickelte, verstellbare Schubdüse aus.

In der Kabine des Jets geht es bei 55 Sitzen in der Anordnung 1+1 relativ eng zu. Die Passagiere werden von bis zu vier Flugbegleitern betreut. Wegen der kurzen Reisezeit brauche man keine klobigen Schlafsessel, argumentiert Scholl.

Mit großem Monitor am Sitz, großem Aussichtsfenster und Klapptisch machen die Computerbilder der Sitze trotzdem einen sehr angenehmen Eindruck.

Bereits 30 Vorbestellungen für Overture

Mit Reichweiten von maximal .7400 Kilometern – Boom wirbt auch mit Routen, die mit einem Tankstopp auf das Doppelte kommen – zielt der kleine Überschalljet auf den Weltmarkt.

Ob der Hersteller alle Versprechungen halten kann, könnte der Demonstrator XB-1 2019 zeigen. Falls dem kleinen Team aus Denver tatsächlich der wegweisende Schritt zum leisen Überschallflugverkehr gelingt, könnten sich Flugzeugbau und Luftverkehr nachhaltig verändern.

Mit 55 Plätzen und Ticketpreisen unterhalb der heutigen First-Class-Tarife kann man Boom schon fast als Niedrigpreis-Überschallkonzept bezeichnen. Bei einigen Airlines stößt das Projekt Overture, das Mitte der 2020er-Jahre für Passagierflüge gewappnet sein soll, jedenfalls durchaus auf Interesse.

Laut Angaben von Boom liegen bereits Kaufabsichten für 30 Flugzeuge vor. Der Stückpreis soll bei mindestens 200 Millionen US-Dollar liegen. Als mögliche Kunden nennt Boom explizit die Virgin Group und Japan Airlines, die Boom darüber hinaus unterstützend begleiten.

Erstere stellt die Boom-Testflugbasis bei ihrer Tochter The Spaceship Company nahe Edwards zur Verfügung, Japan Airlines ist bei der Entwicklung des künftigen Überschalljets sogar selbst beratend beteiligt. Ein Umstand, der die Ernsthaftigkeit des Unterfangens zusätzlich unterstreicht.
© Sebastian Steinke/Patrick Zwerger - FLUGREVUE | Abb.: Boom, aero.de | 13.01.2019 00:50

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Beitrag vom 13.01.2019 - 22:05 Uhr
Man vergleiche die Aerodynamik der XB-1 mit dem "Shaped Sonic Boom Demonstration" der NASA die den "Boom" um 1/3 leiser gemacht hat.

Da liegen welten zwischen. Wie der Baby Boom viel leiser als ein Kampfjet werden soll erschliesst sich mir da konstruktive nicht. Nur eine lange Nase dürfte kaum ausreichend sein.


Dieser Beitrag wurde am 13.01.2019 22:06 Uhr bearbeitet.
Beitrag vom 13.01.2019 - 21:31 Uhr
Die Triebwerke müssen auch zivil zugelassen werden.
Militärisch genutzte Triebwerke haben oft kürzere Lebenserwartungen und müssen auch mehr gewartet werden.
Für den Übergang vom Prototypen zur Serie benötigt man andere Mitarbeiter...
Das Flugzeug will man um 2025 anbieten können?
Das wird spannend!


Dieser Beitrag wurde am 13.01.2019 22:04 Uhr bearbeitet.
Beitrag vom 13.01.2019 - 12:40 Uhr
Alleine schon mit einem modernen Triebwerk sollten sich erhebliche Einsparungen erzielen lassen im Vergleich zu den Rolls-Royce Olympus Triebwerken der Concorde, deren Ursprung Ende der 40er Jahre lag.


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