Frauen in der Luftfahrt: Jane Hoskisson
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"Unsere Branche ist seit vielen Generationen männlich"

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GENF - Personal-Profi Jane Hoskisson ist Chefin des IATA-Programms "Lernen und Entwicklung". Für unsere aero.de-Serie "Frauen in der Luftfahrt" schaut sie selbstkritisch auf ihre eigene Organisation und überlegt, woran es liegen könnte, dass weltweit so wenige Frauen in der Luftfahrt arbeiten.

aero.de: Frau Hoskisson, vergangenes Jahr sorgte das Foto des IATA-Vorstands für Furore: unter insgesamt 26 Mitgliedern fand sich nur eine Frau. Dieses Bild scheint charakteristisch für die Geschlechterverteilung in der Branche. Gibt es nicht genug kompetente Frauen?

Jane Hoskisson: Es gibt Tausende kompetente Frauen. Ein Punkt, den wir in der Luftfahrtbranche bedenken müssen ist, dass diese Industrie hundert Jahre alt ist. Verglichen mit neueren hoch-technologisierten Industrien gibt es in unserer ein großes historisches Vermächtnis.

Jane Hoskisson, Chefin des Programms Lernen und Entwicklung bei der IATA
Jane Hoskisson, Chefin des Programms Lernen und Entwicklung bei der IATA, © IATA


Sie ist seit vielen Generationen männlich dominiert. Aber ich denke, dass wir in dieser Generation viele Möglichkeiten haben, die Veränderungen anzupacken, die wir brauchen. Dafür müssen wir uns gemeinsam anstrengen.

Und ich denke, dass es nicht nur eine Angelegenheit der Luftfahrtbranche sondern die vieler Branchen ist, mehr Frauen in die Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, die sogenannten MINT-Fächer zu bringen. Wir brauchen mehr Frauen in der Talent-Pipeline. Und dabei geht es nicht mal um Geschlechtergerechtigkeit sondern um Vielfalt.

aero.de: Wie könnten Frauen ermutigt werden, in die Luftfahrtbranche einzusteigen?

Hoskisson: Das spielt sich meiner Ansicht nach auf drei Ebenen ab. Die erste setzt schon bei der Schulbildung an. Da müssen wir überlegen, wie wir das Interesse der Mädchen für die MINT-Fächer wecken.

Auf der zweiten Ebene müssen wir Frauen bewusster machen, welche Jobs in der Luftfahrtbranche verfügbar sind. Wir denken immer automatisch an Piloten und Kabinenpersonal. Aber es gibt jede Menge weniger offensichtlicher Jobs – in der Bodenabfertigung, Flugsicherung, im technischen Bereich, Flug- und Einsatzplanung, Preisfindung, Marketing. Sehr unterschiedliche Bereiche, in denen Frauen tolle Arbeit leisten können und es auch bereits tun.

Auf der dritten Ebene sollten wir Frauen mit technischen Berufen dazu ermutigen, ihre Jobs öfter zu wechseln und sich in verschiedenen Branchen zu versuchen. Wir müssen kreativ sein und uns überlegen, wie wir uns als attraktive Option positionieren. Ich denke, die IATA sollte ihre Mitglieder dazu ermutigen.

aero.de: Mit welchen Änderungen könnten mehr Frauen für die Branche gewonnen werden?

Hoskisson: Familienfreundlichkeit ist meiner Ansicht nach eines der größten Themen, das wir anpacken müssen. Es geht dabei nicht ums "Mutter-Sein" oder "Vater-Sein" sondern ums "Eltern-Sein".

Es ist umfangreich erforscht und dokumentiert, dass Familienfreundlichkeit für Frauen und Männer, die sich entschließen, eine Familie zu gründen, ein entscheidendes Kriterium bei der Wahl des Arbeitsplatzes ist.

Es gibt ein paar Piloten und Pilotinnen, die Karriere machen und ihre Familie haben, sie schaffen es, ihre Dienste so einzuteilen, dass sie beides unter einen Hut bringen. Aber sie sind in der Minderheit.

Eine der großen Herausforderungen unserer Branche besteht darin, dass sie sehr stark von Dienstplänen abhängig ist. Das macht die Sache manchmal etwas schwieriger, aber es macht sie nicht unmöglich.

Wenn man den Mitarbeitern mehr Flexibilität zugesteht, damit sie entscheiden, wann sie zum Einsatzplan beitragen und dafür zur Verfügung stehen können, gibt es weniger Krankmeldungen, weniger Jobwechsel und mehr Frauen, die im Job bleiben.

aero.de: Sie haben die Dienstpläne erwähnt – welche anderen Eigenschaften könnten Ihrer Ansicht nach dazu beitragen, dass die Luftfahrtbranche so arm an Frauen ist?

Hoskisson: Ich denke nicht, dass es für das Ungleichgewicht in unserer Branche irgendwelche Gründe struktureller Art gibt oder dass es etwas mit mangelnden Fähigkeiten zu tun hat.

Ich denke es geht um den Zugang zur Talent-Pipeline. Das ist nicht nur eine Geschlechterfrage, es ist eine Frage der Vielfalt. Wenn sich die Größe der Luftfahrtbranche tatsächlich verdoppelt werden wir auf allen Ebenen mit einem drastischen Personalmangel zu kämpfen haben. Deswegen müssen wir insgesamt über Vielfalt nachdenken und über Gender im Besonderen.

Kommen wir an genügend Talente? Sie haben das Bild des IATA-Vorstand angesprochen. Es ist in vielerlei Hinsicht äußerst repräsentativ für die Branche.

Wir müssen sicherstellen, dass wir aus vielen verschiedenen Quellen genügend Talente bekommen, damit wir unseren Bedarf an Fachkräften decken können. Aber hinsichtlich der Anforderungen für die Jobs in der Branche gibt es absolut keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern und dem, was sie beitragen können. Das müssen wir gegen historische Stereotype voranbringen.

aero.de: Seit 2018 erforschen die IATA und andere in der Studie "Die Glasdecke durchbrechen", warum es in der Luftfahrtbranche so wenige weibliche Führungskräfte gibt. Warum machen Sie das erst jetzt?

Hoskisson: Dafür gibt es zwei Gründe. Der erste hängt mit der IATA-internen Reise der Vielfältigkeit und Inklusion zusammen. Die begann intern vor drei Jahren.

Wir sind 1.600 Mitarbeiter und bei uns gibt es auch einige interessante Gender-Dynamiken. Bei der Geschlechterverteilung sind wir absolut repräsentativ, wir liegen bei einer Aufteilung von mehr oder weniger 50/50.

Wenn Sie aber genauer hinsehen, fällt Ihnen bei der Verteilung der Frauen ein Ungleichgewicht auf. Auf den Junior-Positionen haben wir mehr Frauen, auf dem Senior-Level weniger. Wir versuchen, das auszugleichen.

Intern haben wir klar vereinbart: Bevor wir nicht damit anfangen, unser eigenes Haus in Ordnung bringen, sind wir in Sachen Inklusion und Gleichberechtigung nicht glaubwürdig.

Wir haben Fortschritte gemacht und im vergangenen Jahr sind wir zu dem Entschluss gekommen, dass wir jetzt eine Stimme haben, was dieses Thema betrifft…

aero.de: …und dann sagte Ihr aktueller Vorstandsvorsitzender Akbar Al-Baker, dass eine Frau niemals seinen Job machen könnte…

Hoskisson: …Das fiel mit dem Medieninteresse an dem Statement unseres aktuellen Vorsitzenden Akbar Al-Bakers zusammen und das gab uns die Plattform zu sagen: "Das ist der richtige Moment, um die Veränderungen in Gang zu bringen."

Eine unserer Herausforderungen besteht darin, dass wir nicht immer ein klares Bild vom Zustand der Industrie haben. Wir verwalten eine Menge von Daten, aber wir haben nicht immer ein gutes Gefühl dafür, was in der Industrie los ist.

Deswegen arbeiten wir mit anderen Sektoren der Branche und dem Beratungsunternehmen Korn Ferry zusammen, um den status quo in Sachen Geschlechterverteilung in der Luftfahrt herauszufinden.

Wir müssen genau über die aktuelle Situation Bescheid wissen, um die richtigen Maßnahmenpläne auf den Weg zu bringen, mit denen wir die Dinge verbessern. Wir werden die Ergebnisse im April veröffentlichen. Das ist eine perfekte Gelegenheit dafür, gemeinsam zu überlegen, was wir tun können.

Die ICAO hat auf ihrem Gender-Gipfel letztes Jahr auch über den Zustand der Industrie gesprochen. Ich denke gemeinsam kriegen wir langsam Schwung und können die Veränderung in Gang bringen.

aero.de: Haben Sie aufgrund der Daten, die Ihnen schon zur Verfügung stehen, schon eine Meinung dazu, welche Eigenschaften die "gläserne Decke" aufweist und woher sie kommt?

Hoskisson: Persönlich denke ich, dass unsere Herausforderung in der historisch gewachsenen Struktur der Industrie liegt. Und wie viele andere Industrien, die männlich dominiert sind, haben die Unternehmen erst langsam erkannt, welche Kraft in der Vielfalt steckt.

Die Unternehmen, die ich kennengelernt habe und die den Wandel vorangetrieben haben, hatten eine unablässige Führungsriege. Entweder hatten sie einen starken Antrieb von einer Chefin oder von einem Chef, der sich vollkommen für Gender-Themen und Vielfalt eingesetzt hat.

Das hilft, den Weg zu ebnen. Diese Unternehmen machen wirklich den Unterschied in der Industrie.

Ein anderer Punkt: Frauen müssen auch eine Rolle spielen. Frauen in der oberen Führungsetage, welche die Glasdecke durchbrochen haben, müssen sicherstellen, dass sie sich hinter ihnen nicht wieder verschließt.

aero.de: Das wäre eine Art Solidarität unter Frauen. Was können Frauen noch tun, um mehr Gewicht in der Branche zu bekommen?

Hoskisson: Ich bin ein bisschen vorsichtig damit, von "weiblicher Solidarität" zu sprechen. Ich denke, es ist immer besser, über Vielfalt nachzudenken. Habe ich die richtige Vielfalt von Leuten in der Organisation um mich herum?

Manches in Sachen Vielfalt habe ich schiefgehen sehen, wenn es nur darum ging, allein Frauen oder allein ethnische Gruppen zu fördern. Tatsächlich sollte sich ein Chef jeden Tag im Spiegel betrachten und sich fragen: habe ich die richtige vielfältige Mischung in meinem Team?

Tue ich alles dafür, um Barrieren zu beseitigen und sicher zu stellen, dass jedem die der Zugang zu allen Möglichkeiten, die wir schaffen, offen steht? Wenn Sie das als Chef schaffen, können Sie die Organisation verändern.


Frau Hoskisson, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Weltweit sind im Jahr 2018 nach Zahlen der ICAO nur etwa sieben Prozent der Beschäftigten in der Luftfahrt Frauen. Der Boom dieser Branche birgt das Potenzial, dieses Ungleichgewicht auszutarieren. In unserer aero.de-Serie "Frauen in der Luftfahrt" stellen wir Ihnen einflussreiche und außergewöhnliche Frauen der aktuellen Luftfahrt vor, liefern Hintergründe zu dem Thema und zeigen aktuelle Entwicklungen auf.
© aero.de | Abb.: IATA | 20.01.2019 08:58

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Beitrag vom 21.01.2019 - 15:14 Uhr
Uneingeschränkte Zustimmung zu dem oben von den Kollegen beschriebenen!
Die Erfolge und Leistungen der luftfahrtbegeisterten Frauen, sei es Amelia Earhart, Elly Beinhorn, Hanna Reitsch oder auch Hedwig Sensen, um nur einige zu nennen, werden mit deartigen Aussagen entwertet.

Es gibt zunehmend junge Frauen in den Montagebereichen, auch wichtige Führungspositionen sind mit Frauen besetzt. Wer sich nicht nur am Schreibtisch, sondern vor Ort mit diesen Personen auseinandersetzt, wird feststellen, daß sie engagiert und professionell arbeiten, ohne geschlechts- aber mit dem Sachbezug zur Luftfahrt.

Wie sollen nach Ansicht der Dame und etlicher neuzeitlicher Politiker die unzähligen neuen Geschlechterzuordnungen entsprechend dargestellt, gleichgewichtet und gefördert werden?

In der Luftfahrt sind wir Kollegen auf Augenhöhe, der Sache verpflichtet!
Beitrag vom 21.01.2019 - 14:50 Uhr
Zustimmung, besonders auch im Bereich der Politik. Nicht jeder und auch nicht jede Frau will sich dem dort herrschenden Stress z.B. durch die Grabenkämpfe aussetzten. Aber Herr Oppermann wirbt für 2 getrennte Listen Frauen und Männer.
Beitrag vom 20.01.2019 - 20:45 Uhr
"Personal-Profi Jane Hoskisson ist Chefin des IATA-Programms "Lernen und Entwicklung". Für unsere aero.de-Serie "Frauen in der Luftfahrt" schaut sie selbstkritisch auf ihre eigene Organisation und überlegt, woran es liegen könnte, dass weltweit so wenige Frauen in der Luftfahrt arbeiten."

Ja und? Wer solche Fragen stellt, den kann ich nicht als Profi einordnen. Er hat eines ganz und gar nicht verstanden: auch Frauen sind selbstbestimmte Wesen und haben ein Recht auf Selbstbestimmung und vielleicht andere Interessen als die Luftfahrt. Ich habe auch andere Interessen als mit Puppen zu spielen.

Respekt und Achtung endlich gegenüber den Entscheidungen von Frauen und keine sozialistische Ausbeutung durch das Einreden von Minderwertigkeit bei Frauen, wenn sie nicht das tun, was andere meinen sie haben es zu tun.

Es ist inzwischen untragbar, was hier in einer ideotischen und ideologischen Art und Weise mit den weiblichen Menschen geschieht. Laßt die Frauen einfach Frauen sein und laßt sie selbst entscheiden, was und wie sie es wollen. Nicht diese zu unterjochen, zu bevormunden, fremdzubestimmen und zu diskriminieren. Immer wieder diese alte Leier von Aufzählungen von Vorurteilen gegenüber Frauen. Es sind nur Bevormundungen und nichts anders als eine neue Art der Diskriminierung, denn man versucht den Frauen eine Minderwertigkeit und schlechtes Gewissen einzureden, was diese überhaupt nicht haben und nie haben müssen. Diese Intoleranz gegenüber Frauen reicht.


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