DFS-Chef Klaus-Dieter Scheurle
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Flugsicherung sieht kaum Spielraum bei Gebühren

Prof. Klaus-Dieter Scheurle
Prof. Klaus-Dieter Scheurle, © BMVBS

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LANGEN - Streckenweise landesweit knapp 90 Prozent weniger Flugverkehr als im Vorjahr: DFS-Chef Prof. Klaus-Dieter Scheurle beschreibt im Interview mit aero.de, wie die Deutsche Flugsicherung bisher mit der Corona-Krise umgegangen ist, was sie für die Zukunft bedeutet und wie er zu Forderungen steht, Airlines zu entlasten.

aero.de: Herr Professor Scheurle, langsam lässt sich eine Wiederbelebung des Flugverkehrs erkennen - auf welche Szenarien bereitet sich die DFS für den weiteren Jahresverlauf und das kommende Jahr vor?

Klaus-Dieter Scheurle: Zunächst kann ich bestätigen, dass man derzeit Flugbewegungen sieht, die schon lange nicht mehr zu sehen waren. Wir hatten an den ersten beiden Julitagen rund 35 Prozent an Tagesverkehr gemessen zum Vorjahr. Mitten in der Corona-Krise hatten wir tagesspezifisch 13-15 Prozent.

Wir haben die Flexibilität, diesen Flugverkehr bedarfsgerecht abzuhandeln und haben uns natürlich auch eine Prognose gegeben. Es ist allerdings immer schwierig, in die Zukunft zu schauen – weil sie von vielen Einzelnen und deren Entscheidungen abhängt.

Wir wollen jetzt erstmal abwarten, wie sich der Verkehr im Juli, August und teilweise auch September entwickelt. Auf dieser Basis werden wir ein Update unserer Prognose gegen Ende September vornehmen.

Derzeit geht sie davon aus, dass wir 2020 insgesamt 50 Prozent weniger Flugverkehr haben.

Und 2021?

Scheurle: Da würden wir laut der derzeitigen Prognose mit allen Unsicherheiten, die ich erwähnt habe, mit 80 Prozent im Vergleich zu 2019 rechnen.

Blicken wir kurz auf die vergangenen Monate zurück. Der Flugverkehr ist teilweise bis zu 90 Prozent eingebrochen.

Scheurle: Es war sehr unterschiedlich: wir hatten Frachtflughäfen wie etwa Leipzig, wo wir Einbrüche von zirka 30 Prozent hatten. Und dann zum Beispiel München mit bis zu 95 Prozent.

Was hat das für die operative Arbeit der DFS bedeutet, für die Einteilung und Auslastung der Fluglotsinnen?

Scheurle: Als kritische Infrastruktur der Bundesrepublik Deutschland müssen wir unsere Dienstleistung an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr anbieten. Gleichgültig, wieviel tatsächlich geflogen wird.

Unsere vier Kontrollzentralen, unsere Tower an den internationalen Verkehrsflughäfen und unser Remote Tower Center in Leipzig haben den Flugverkehr auch während des Lockdowns ermöglicht.

15 Prozent des Verkehrs aufgrund der Corona-Pandemie bedeutet aber nicht, dass die DFS dafür nur 15 Prozent des Personals benötigt. An den verkehrsreichsten Flughäfen konnten die Fluglotsen stärker auf circa 50 Prozent Besatzungsstärke reduziert werden als an den übrigen Flughäfen, da hier für den regulären Betrieb wesentlich mehr Personal benötigt wird, als im Minimalbetrieb notwendig ist. Dort waren rund 70 Prozent der üblichen Soll-Werte erforderlich.

Was die Lotsen in den Kontrollzentralen anbelangt, die den unteren und den oberen Luftraum überwachen, brauchen wir zur Aufrechterhaltung des Betriebs im Schnitt zwei Drittel des üblichen operativen Personals. Damit können wir bis zu 25 Prozent des Vorjahresverkehrsvolumens gut managen. Wir beginnen jetzt damit, diese Minimalbesetzung, wo es notwendig ist, aufzustocken.

2018/2019 war von Chaos-Sommern die Rede, es gab massive Nachwuchssorgen, die Airline-Chefs haben kritisiert, dass die DFS zu wenig Personal vorhalten würde. Durch die Krise hat sich das Ganze komplett ins Gegenteil verkehrt. Was bedeutet das für Ihre Personalplanung der nächsten Jahre?

Scheurle: Apropos Chaos Sommer: Wir hatten im letzten Jahr und dem Jahr davor eine uns anzurechnende Verspätung pro Flug von 1,19 Minuten: damit will ich nochmal verdeutlichen, von welchen Größenordnungen wir hier sprechen. Unsere Pünktlichkeitsrate lag bei über 88 Prozent.

Natürlich kann man sich das auch besser vorstellen. In den Jahren 2014 bis 2016 lagen wir bei deutlich unter einer Minute Verspätung. Für geringere Verkehrsvolumina an Flügen benötigen wir weniger Lotsen. Die Menge ist entscheidend für die erforderlich Personalstärke im operativen Bereich. Von daher haben wir bis auf Weiteres ausreichend Lotsen.

Doch gerade in diesem und im kommenden Jahr gehen viele Mitarbeiter in den Ruhestand, das ist die Generation, die vor 20/30 Jahren an Bord gekommen ist. Daher werden wir unsere Ausbildung in den kommenden Jahren auf höchstem Niveau weiterführen.

In diesem Jahr wollten wir eigentlich auf 146 Nachführungen kommen. Das haben wir wegen Corona nicht geschafft, aber knappe 100 Nachführungen schon. Wir hoffen, dass wir im kommenden Jahr wieder 146 Nachführungen erreichen werden.

Das heißt, in der Krise besteht durchaus auch die Chance, hier etwas Boden gut zu machen, beziehungsweise die Personalausstattung für die 2020er Jahre auf eine etwas breitere Basis zu stellen?

Scheurle: Richtig.

In den letzten Tagen gab es – insbesondere auch im Zuge der Lufthansa-Rettung - Rufe, dass die Flugsicherung Airlines finanziell entlasten, also den Gebührendruck nehmen soll. Wie stehen Sie dazu?

Scheurle: Die DFS Deutsche Flugsicherung GmbH ist ein selbstständiges Wirtschaftsunternehmen. Wenn die Fluggesellschaften nicht fliegen, verdienen wir kein Geld. Ebenso wie Flughäfen und Airlines müssem wir zunächst selbst wirtschaftlich mit dieser Corona-Situation fertig werden.

Die DFS rechnet derzeit mit einem Umsatzeinbruch von mehr als 50 Prozent in diesem Jahr, das sind 540 Millionen Euro. Die Geschäftsführung hat darauf reagiert und neue Vorgaben für Betriebskosten und Investitionen gemacht, die zum Jahresende deutlich unter den Planwerten liegen werden.

Der Spielraum für Kostensenkungen ist jedoch stark eingeschränkt, weil wir zur Aufrechterhaltung der Flugsicherungsinfrastruktur einerseits relativ viel Personal vorhalten müssen und andererseits Geld für Investitionen benötigen.

Dennoch haben wir mit den Airlines besprochen, wie wir dieses und die nächsten Jahre gestalten. Die Gebühren, die wir für dieses Jahr gemeinschaftlich verhandelt haben, werden wir in diesem und im nächsten Jahr trotz der wirtschaftlich angespannten Situation nicht erhöhen.

Das bedeutet, dass wir uns die benötigte Liquidität, die uns auch in der Größenordnung von 480 Millionen Euro fehlt, anderweitig beschaffen müssen. Nach den heutigen Regulierungsregeln könnten unsere Mindereinnahmen aus diesem Jahr ab dem Jahr 2022 den Airlines nachträglich über Gebührenerhöhungen in Rechnung gestellt werden. Das wollen wir gemeinsam vermeiden. Und das geht nur über Drittmittel.

Deshalb sind wir gerade dabei, uns am Kapitalmarkt ein Schuldscheindarlehen zu beschaffen. Die Umsatzeinbrüche werden uns aber auch die nächsten Jahre begleiten, so dass wir auf weitere finanzielle Unterstützung zum Beispiel der Bundesregierung und/oder der EU angewiesen sein werden.

Werden Sie dabei von der Politik, also vom Eigner Bund unterstützt?

Scheurle: Wir sind im Gespräch mit der Bundesregierung, inwieweit wir finanzielle Hilfen bekommen könnten, die wir dann eben zur eigenen wirtschaftlichen Absicherung nutzen, aber auch, um den Airlines entgegen zu kommen.

Zum Abschluss noch eine luftraumorganisatorische Frage: Der Single European Sky schwebt ja schon seit vielen Jahren durch die Branche. In den vergangenen Monaten hat es einige Versuche gegeben, im freieren Himmel kürzere Routenführungen für zumindest einzelne Flüge zu finden – eine Grundidee des Single European Sky. Was können Sie davon beibehalten, wenn der Verkehr wieder zunimmt?

Scheurle: Zunächst muss man sagen, dass wir als DFS sehr gut geworden sind: Unsere Werte für die Abweichung von der Großkreisdistanz, also der Umweg von der direkten Routenführung, lagen im vergangenen Jahr im Durchschnitt bei 1,16 Prozent. Das sind nicht einmal dreieinhalb Kilometer – weniger, als die Länge der Startbahn am Flughafen Frankfurt.

Ich glaube, dass wir unter normalen Umständen kaum auf bessere Werte kommen können. Jetzt liegen wir allerdings bei 1,09 Prozent, was mit dem leeren Himmel zeigt, wie gut wir bei vollem Himmel waren.

Im Übrigen bewirken Direktflüge auch Einbußen bei der Kapazität, auch das ist Teil der Realität. Zum Vergleich: In Europa liegen wir bei zirka 2,3 Prozent Abweichung. Auf längeren Flügen ist also noch Luft drin. Ich glaube allerdings, dass der ein oder andere hier Potenziale sieht, die in dieser Größenordnung nicht vorhanden sind. Dennoch ist der Gedanke des SES ein richtiger Gedanke.

Woran hakt es?

Scheurle: Es ist eben sehr schwierig, verschiedene Lufträume zusammenzuführen, weil jeder EU-Staat seinen Luftraum hoheitlich betrachtet. Deswegen bin ich persönlich der Meinung, dass es nur möglich ist, wenn man eine Privatisierung der Flugsicherungsorganisationen einführt.

Denn dann kann unternehmerisch gehandelt werden und hoheitliche Aspekte spielen vielleicht nicht mehr die größte Rolle. So könnte es zu Zusammenschlüssen von Flugsicherungsorganisationen kommen - und damit auch zu Zusammenschlüssen von Lufträumen.

Alles andere ist bisher unter der heutigen Organisationsvielfalt der Flugsicherungsorganisationen in Europa, die zum größten Teil öffentlich-rechtlich ist, gescheitert. Wenn wir das Umfeld nicht in dem Maße verändern, wie ich es gerade beschrieben habe, wird es auch künftig zu keinen durchgreifenden Verbesserungen kommen.

Ein Grund für Umwege sind allerdings auch militärische Übungsgebiete. Wir müssen uns in Europa relativ vielen Luftwaffen vorstellen, die ihre eigenen Übungsgebiete brauchen. Die deutsche Bundeswehr ist sehr kooperativ und öffnet militärische Übungsgebiete immer dann für den zivilen Luftverkehr, wenn unsere Luftwaffe dort nicht fliegt. Wenn in Deutschland alle militärischen Luftraumgebiete gleichzeitig genutzt würden, hätten wir ein Drittel des Luftraums blockiert.

Solange man in Europa nicht an all diese Hinderungsgründe herangeht, sehe ich auch keine Fortschritte. Ich möchte aber auch betonen, wie intensiv Flugsicherungsorganisationen zusammenarbeiten und sich abstimmen. Wir alle sind darauf fokussiert, unseren Kunden, den Airlines, den besten Service anzubieten, der unter den heutigen Umständen möglich ist.

Herr Scheurle, wir danken Ihnen für das Gespräch.
© aero.de, Dennis Dahlenburg, Anna Böhm do Nascimento | Abb.: DFS, aero.de (boa) (Montage) | 11.07.2020 15:30


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