Flugzeug nicht steuerbar?
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Superjet-Unglück: Aeroflot-Pilot verteidigt sich

Aeroflot Sukhoi Superjet 100
Aeroflot Sukhoi Superjet 100, © Flughafen Dresden

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MOSKAU - 41 Menschen starben, als am 5. Mai 2019 ein Suchoi Superjet der russischen Aeroflot in Moskau-Scheremetjewo mehrfach hart auf der Landebahn aufschlug und Feuer fing. Die Unfallermittler geben dem Piloten die Schuld. Ihm droht Gefängnis. Jetzt wehrt er sich. 

Der Schuldige für die Tragödie war schnell gefunden. Einen Monat nach dem verheerenden Ende von Aeroflot-Flug SU1492 am 5. Mai 2019 nahm ein Zwischenbericht der staatlichen Flugunfallermittler den Piloten des Suchoi Superjet in die Verantwortung: Der damals 42-jährige Chefpilot Denis E. habe geltende Verfahrensregeln "fahrlässig verletzt", nachdem sein Flugzeug kurz nach dem Start Richtung Murmansk von einem Blitz getroffen worden war.

Zwar hatte sich durch den Blitzschlag der Autopilot abgeschaltet und die Flugsteuerung war in den manuellen Modus ("direct law") gewechselt. Aber der Superjet habe die Eingaben der Piloten "angemessen umgesetzt". 

Dennoch schlug das Regionalflugzeug bei der Notlandung dreimal hart auf der Runway des größten Moskauer Flughafens auf, bis schließlich das Fahrwerk brach, die Tanks aufrissen und das Flugzeug Feuer fing. 41 der 78 Insassen schafften es nicht aus der brennenden Maschine.

Flugzeug außer Kontrolle

Er denke jeden Tag an die Opfer und bitte die Hinterbliebenen um Verzeihung, bekannte Denis E. nun in einem Interview mit dem Nachrichtenportal Lenta zum Jahrestag des Unglücks. 

Gleichzeitig wies er die Vorwürfe der Unfallermittler, die ihn als Hauptverantwortlichen ausweisen und ihn deshalb vor Gericht stellen wollen, scharf zurück. Zwar sei das Fliegen im manuellen Modus selbstverständlich Teil des Trainings im Simulator gewesen, allerdings habe sich das Flugzeug im konkreten Fall völlig gegensätzlich verhalten als erwartet. 

"Bei der Landung wurde die Reaktion des Flugzeugs auf Steueraktionen umgekehrt", so E. im Interview. "Das heißt, als ich den Steuerknüppel zurückzog, hob das Flugzeug seine Nase nicht an, sondern senkte sie und umgekehrt". 

Aus diesem Grund habe er sich auch gegen ein Durchstarten entschieden, nachdem der Superjet zum ersten Mal auf der Bahn aufgesetzt und wieder abgehoben sei. Hätte er vollen Schub gegeben, hätte sich entweder die Nase des Flugzeugs in die Runway gebohrt, oder der Jet wäre mit dem Heck aufgeschlagen, erläutert E. "In beiden Fällen bin ich mir sicher, dass alle gestorben wären."

Notlandung trotz Übergewicht und Scherwind

Der Unfallbericht der Ermittler führt weiter aus, dass E. und sein Copilot mehrfach vor gefährlichen Scherwinden gewarnt worden seien, diese aber konsequent ignoriert und den Landeanflug trotzdem fortgesetzt hätten. 

Dazu erwidert Denis E., er habe die Warnungen des Systems zwar tatsächlich vernommen, seinerseits aber keinerlei Anzeichen für vorhandene Windscherungen erkennen können. 

Da er überdies befürchtet habe, die Kontrolle über die Maschine vollends zu verlieren, habe er bewusst direkt zur Notlandung angesetzt, ohne zuvor die Kerosintanks leer zu fliegen. 

Seiner Ansicht nach hätte das Fahrwerk dabei entweder gar nicht oder bereits beim ersten Aufsetzen brechen sollen – allerdings so, dass dadurch kein Schaden an den Tanks hätte entstehen dürfen.

"Unglück könnte sich wiederholen"

Genau hier sieht Denis E. einen markanten Schwachpunkt des Superjets. Er verweist in dem Zusammenhang auf ähnliche Fälle in der Vergangenheit, 2008 in Le Bourget sowie 2018 in Schukowski und in Jakutsk: "In all diesen Fällen beschädigte das Fahrgestell die Wand des Kraftstofftanks und führte nur durch Glück nicht zu Verlusten", so E. 

Das Problem sei bekannt, "aber das Ministerium für Industrie und Handel blendet es hartnäckig aus." Auch, dass der Blitzschlag einen solchen Einfluss auf die Flugsteuerung gehabt habe, dürfe eigentlich nicht passieren. E. spricht deshalb von einer "Nichteinhaltung von Lufttüchtigkeitsnormen" seitens des Herstellers. 

Es sei außerdem nicht untersucht worden, was genau mit der Steuerung passierte, nachdem das Flugzeug vom Blitz getroffen worden war. Noch nicht einmal das Flugzeug selbst sei dazu als materieller Beweis zugelassen worden. 

Seiner Ansicht nach hätte der Autopilot nicht deaktiviert werden dürfen. "Der Mangel an umfassender Forschung lässt die Ursachen der Katastrophe ungelöst – dementsprechend ist eine Wiederholung der Situation möglich", warnt E.

Wahrheit oder Schutzbehauptung?

Die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Swetlana Petrenko, zog die Aussagen des Aeroflot-Piloten umgehend in Zweifel. Seine Argumente seien inkonsistent, so Petrenko. 

Die Daten des Flight Recordes zeigten, dass das Flugzeug entsprechend der Eingaben des Piloten reagiert habe. Laut Petrenko will die Staatsanwaltschaft für Denis E. sieben Jahre Haft fordern.
© FLUGREVUE - Patrick Zwerger | Abb.: Sukhoi Superjet | 13.05.2020 09:35

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Beitrag vom 13.05.2020 - 15:41 Uhr
wobei man im Westen nun deutlich mehr Erfahrung mit höher entwickelter Elektronik hat.

Da würde ich mich nach dem Boeing Debakel jetzt mal nicht sooo weit aus dem Fenster lehnen...
Zudem haben "die Russen" immerhin Erfahrung mit robuster Elektronik bzw robustem Systemdesign, Stichwort Sojus...

Bin mir nicht sicher, welches amerikanische oder europäische Design die Kollision mit einem gerade abgetrennten Booster lediglich mit einem Salto quittiert hätte...

Aber ja, bei Unfallermittlungen tendieren russische Stellen scheinbar öfter dazu, Sündenböcke statt Ursachen zu finden - oder finden zu wollen/sollen.

Dieser Beitrag wurde am 13.05.2020 22:45 Uhr bearbeitet.

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Beitrag vom 13.05.2020 - 14:55 Uhr
Die russischen offiziellen Stellen lügen doch dass sich die Balken biegen wenns um Prestigeprojekte geht.

Beim T14 Panzer soll der Fahrer auf einmal vergessen haben was eine Parkbremse ist und beim Superjet konnte ein durchaus erfahrener Pilot plötzlich nichtmehr fliegen . . .

In beiden Fällen sind Software-/ Elektronikprobleme mindestens im Bereich des Möglichen.
Bei westlichen Erzeugnissen bereitet dieses komplexe Thema auch oft Probleme wobei man im Westen nun deutlich mehr Erfahrung mit höher entwickelter Elektronik hat.


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