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Das Wasserstoff-Flugzeug nimmt Gestalt an

Airbus ZeroE Turbofan-Konfiguration
Airbus ZeroE Turbofan, © Airbus

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TOULOUSE - Bis 2035 will Airbus ein Passagierflugzeug auf dem Markt haben, das komplett CO2-neutral fliegt, dank Antrieb mit Wasserstoff. Völlig emissionsfrei sei das zwar auch nicht, kritisieren Wissenschaftler. Die Technologie ist trotzdem vielversprechend - bereits 1988 brachte Wasserstoff einen großen Jet in die Lüfte.

Wie eine Revolution der Luftfahrt sieht der neueste Flugzeugentwurf von Airbus nicht aus, der da zu sphärischer Musik am wolkenlosen Himmel schwebt. Bei genauerem Hinsehen fällt das ungewöhnlich geformte Seitenleitwerk auf und die Tatsache, dass sich im hinteren Drittel des Rumpfes der Airbus-Flugzeugstudie keine Fenster befinden.

Oben auf dem Leitwerk prangt ein kurzer Fortsatz, der eher wie eine Antenne wirkt. Diese Charakteristika geben Aufschluss darüber, dass es sich hier tatsächlich um eine womöglich bahnbrechende Neuheit handelt.

"Im hinteren Drittel des Rumpfes hinter dem Druckschott der Kabine befindet sich der Wasserstofftank, und der Fortsatz oben am Leitwerk dient zum Ablassen von Gas im Falle eines Lecks", erklärte Airbus-Technologiechefin Grazia Vittadini in dieser Woche bei der Vorstellung der ersten Entwürfe von zukunftsweisenden Flugzeugen mit Wasserstoffantrieb.

Das Ziel ist ehrgeizig: Bis 2035 will Airbus das weltweit erste emissionsfreie Verkehrsflugzeug herausbringen. Dazu hat der europäische Hersteller drei verschiedene Konzepte, von denen eines umgesetzt werden soll, darunter der eher konventionell aussehende Jet.

Airbus will sich unter starkem Druck der Politik vor allem in Frankreich und Deutschland an die Spitze der Transformation setzen, um für die Luftfahrt die Abkehr von fossilen Brennstoffen und damit die Dekarbonisierung voranzutreiben. "Dies ist ein historischer Moment für die gesamte kommerzielle Luftfahrt", sagte Airbus-Chef Guillaume Faury über seine "kühne Vision."

Die Idee, Wasserstoff statt Kerosin als Energiequelle für Flugzeugtriebwerke zu nutzen ist nicht neu, aber sie ist immer noch schwer umzusetzen. Daher fehlte es bis heute an alltagstauglichen und wirtschaftlich zu betreibenden Flugzeugkonzepten.

Denn Wasserstoff ist nicht pflegeleicht: Er weist zwar gegenüber Kerosin die dreifach höhere Energiedichte auf, ein großer Vorzug gegenüber Batterien, und wiegt nur ein Drittel so viel, benötigt aber bis zu viermal mehr Volumen als gängiger Treibstoff. Und Platz ist an Bord von Flugzeugen nun mal notorisch knapp und kostbar.

Außerdem, und das macht es besonders anspruchsvoll, ist Wasserstoff ein sogenannter kryogener Treibstoff: Ein Gas, das erst bei minus 253°C flüssig und unter hohem Druck komprimiert für Antriebe nutzbar wird. Was wiederum einen doppelwandigen, zylindrischen oder kugelförmigen Tank erfordert.

Bereits 1988 brachten Ingenieure in der damaligen Sowjetunion eine umgebaute Version ihres dreistrahligen Passagierjets Tupolew Tu-154 heraus, das Testflugzeug nannten sie Tu-155, dessen rechtes Triebwerk wurde mit Wasserstoff betrieben.

Das Flugzeug tauchte auf der ILA 1990 in Hannover erstmals im Westen auf, eine Ausstülpung außen am Rumpf ließ die Dimension des Wasserstofftanks erahnen. Wasserstoff lässt sich auf verschiedene Arten für Flugzeuge nutzen: Zur direkten Verbrennung in umgerüsteten Gasturbinen, durch Brennstoffzellen umgewandelt in elektrische Energie oder man produziert damit in Kombination mit CO2 synthetisches Kerosin.

"Wir müssen das Flugzeug um diese Bedingungen herum neu gestalten", sagte Grazia Vittadini. Daran versucht sich Airbus jetzt gleich mit einem Trio an Vorschlägen.

Airbus ZeroE Turboprop-Konfiguration
Airbus ZeroE Turboprop, © Airbus

Dem eingangs beschriebenen sogenannten Turbofan-Design, das 120-200 Passagiere über Strecken von etwa 3.700 Kilometer Länge befördern soll, also keine Langstrecken oder Transkontinentalflüge in Amerika schafft, aber alle innereuropäischen Routen. Das Konzept fällt etwas kleiner aus als die aktuelle A320neo, erreicht aber mit gut 800 km/h auch Wasserstoff-getrieben die gleiche Geschwindigkeit.

Zweiter Entwurf ist ein Turboprop-Flugzeug mit Propellerantrieb für bis zu hundert Passagiere auf Kurzstrecken, das mit gut 600 km/h rund hundert Stundenkilometer schneller wäre als heutige Turboprops.

Beide Entwürfe sind von modifizierten Gasturbinen angetrieben, ergänzt durch einen Hybrid-Elektromotor gespeist aus Brennstoffzellen, und bewusst konventionell gehalten, "wir müssen dafür nicht in komplett neue Technologien investieren", erklärt Airbus-Chef Faury.

Nurflügler ist das "vorteilhafteste Modell"

Ein disruptives Konzept gibt es auch - ein Wasserstoff-getriebener Nurflügler, den sogenannten Blended Wing Body. Hier formen Flügel und Rumpf einen durchgehenden aerodynamischen Körper. Diese Konfiguration, zuletzt etwa von KLM und der TU Delft mit ihrem Flying V-Konzept vorgestellt, gilt ohnehin als zukunftsträchtig.

"Der Nurflügler ist aerodynamisch das vorteilhafteste Modell zur Integration der Wasserstofftanks", so Grazia Vittadini gegenüber aero.de. "Aber das heißt nicht, dass das bei den anderen Parametern ebenfalls die optimale Lösung ist."

Airbus ZeroE Blended Wing Body-Konfiguration
Airbus ZeroE Blended Wing Body, © Airbus

Die Airbus-Initiative stößt auch in der Wissenschaft auf Zuspruch. "Die Welt ist reif dafür und Airbus hat die Gunst der Stunde genutzt", sagt Dragan Kozulovic, Professor für Flugtriebwerke an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW) zu aero.de.

Dass die Studien gänzlich ohne Kerosin auskämen sei bemerkenswert, die geplante Markteinführung bis 2035 durchaus realistisch. Kozulovic hält dabei die Realisierung des Entwurfs des Wasserstoff getriebenen Turboprop-Flugzeugs für am wahrscheinlichsten.

Entscheidend für den Erfolg sei aber, dass die dafür am Boden nötige Infrastruktur für die kommerzielle Nutzung von Wasserstoff geschaffen werde, von der Produktion über die Lagerung bis zur Betankung, "das ist eine Mammutaufgabe."

Wasserstoff ist dabei nur dann nachhaltig, wenn er durch "grünen" Strom etwa aus Sonnen- oder Windenergie hergestellt wird. Der Professor wehrt sich aber gegen die Etikettierung der "ZEROe" genannten Airbus-Konzepte als "emissionsfrei".

Denn auch ohne CO2-Erzeugung entstehe durch Wasserstoffverbrennung weiterhin Wasserdampf als Emission, Auslöser von klimarelevanten Kondensstreifen am Himmel, auch Stickoxide würden weiter freigesetzt. "Diese Flugzeuge wären deutlich besser, aber nicht emissionsfrei", erklärt Dragan Kozulovic.
© Andreas Spaeth, aero.de | Abb.: Airbus | 27.09.2020 08:41

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Beitrag vom 05.10.2020 - 08:11 Uhr
Klima-Neutralität bedeutet genau das: einen ausgeglichenen CO2 Haushalt.
Idealerweise sollten wir allerdings den CO2 Gehalt der Atmosphäre sogar aktiv etwas absenken.

Aktuell setzt die Menschheit aber immer noch Milliarden Tonnen fossiles CO2, also CO2, dass seit dem Karbonzeitalter inert unter der Erde lag, jedes Jahr neu frei, so dass der CO2 Gehalt der Atmosphäre von 260 ppm um 1850 bis auf knapp 410 ppm aktuell gestiegen ist.
Von einem ausgeglichenen Haushalt sind wir also aktuell weit entfernt.

Richtig. Und nicht zu vergessen, dass die Menschheit parallel zu der steigenden CO2-Belastung der Atmosphäre gleichzeitig aber auch den weltweit größten "Verarbeiter" von CO2 größtflächig vernichtet: den Regenwald! Dieser wandelt ja nicht nur das CO2 u.a. in O2 um, sondern kühlt durch die Verdunstung und die Abschattung riesiger Flächen aktiv die globale Temperatur herunter. Zugleich fehlen die Wolkenbildung über dem Regenwald und die damit einhergehenden Regenfälle - der Name "Regenwald" kommt ja nicht von ungefähr.
Leider wird durch die Abholzung des süd- und mittelamerikanischen Regenwaldes zur Schaffung von Weideflächen für immer mehr Rinder ein weiteres katastrophales und noch viel klimaschädlicheres Treibhausgas massenhaft freigesetzt: Methangas. Und das Ganze noch zusätzlich zur Erwärmung von Meeresböden und Permafrostböden und der damit einhergehenden Methanfreisetzung.
Alles in allem also eine fatale, menschenverantwortete Entwicklung!
Beitrag vom 04.10.2020 - 20:33 Uhr
 https://www.klimareporter.de/verkehr/die-zwei-drittel-luecke-beim-klimaneutralen-fliegen

Denmach wäre beim Vermindern der Kondensstreifen mehr zu holen. Gäbe es beim Wasserstoffantrieb keine Kondensstreifen oder deutlich weniger - weil Rußpartikel als Kondensationskeime fehlen?
Kann von den Foristen jemand etwas beitragen?
Beitrag vom 27.09.2020 - 21:19 Uhr
Es es ist immer noch besser etwas zu probieren als gar nichts zu machen.

Es gäbe viele Dinge heute nicht ( z.B. Flugzeug und Auto um beim Thema zu bleiben ) wenn man nach den ersten Rückschlägen nichts mehr gemacht hätte.


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