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Wie ein Raketenstartplatz in der Nordsee aussehen könnte

Satellit von OHB-System
Satellit von OHB-System, © OHB-System

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BREMEN - In der Nordsee könnten schon bald kleine leichte Trägerraketen abheben. Kein Cape Canaveral, kein Kourou und kein Baikonur - aber ein Spezialschiff mit Startrampe soll es werden. Startposition: etwa 460 Kilometer von Bremerhaven - keine Luftnummer, sondern ein "gut durchdachter und umsetzbarer Plan".

Das Wirtschaftsministerium prüft ein Konzept des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). "Das sind keine kurzfristigen Ideen, die am grünen Tisch entstanden sind. In diesem Papier steckt ein gut durchdachter und umsetzbarer Plan", ist sich Matthias Wachter sicher. Der BDI-Abteilungsleiter für Sicherheit, Rohstoffe und Raumfahrt verweist auf die absehbare Nachfrage nach Startmöglichkeiten.

In Deutschland arbeiten drei Unternehmen mit Hochdruck an eigenen Microlaunchern, die kleinere Satelliten etwa in Kühlschrank- oder gar Schuhkartongröße in den Weltraum expedieren sollen: die zum OHB-Konzern gehörende Rocket Factory Augsburg, Isar Aerospace und Hylmpulse.

Alle drei gaben Input für die "Konzeptstudie und Kostenanalyse für eine mobile Abschussplattform in der deutschen Außenwirtschaftszone (AWZ)" in der Nordsee.

Es läuft wohl auf ein umgerüstetes Schiff hinaus, auf das die 20 bis 30 Meter langen Raketen vom geplanten Basis- und Logistikhafen Bremerhaven aus an die Startposition im äußersten Westen der deutschen Außenwirtschaftszone gebracht werden.

Es geht etwa darum, lückenlos mobiles Internet über kleine Satelliten-Konstellationen zu ermöglichen. Die Transitstrecke ist rund 460 Kilometer lang. Wassertiefe vor Ort: 30 bis 60 Meter. "Startplätze auf dem Meer haben den großen Vorteil, dass sie weniger Risiken für Mensch und Material bedeuten", sagte OHB-Chef Marco Fuchs.

"Aber es gibt auch auf der Nordsee Herausforderungen: Luftverkehr, Schiffverkehr, Umwelt- und Naturschutz, andere kommerzielle Nutzer wie Offshore-Windparks."

Satelliten von der Größe eines Schuhkartons

Die Satelliten werden aufgrund der Miniaturisierung immer kleiner. Das verändere auch den Bedarf an Trägerraketen, heißt es in dem BDI-Papier. Und weiter: "Beratungsunternehmen schätzen, dass bis 2028 9938 Satelliten (zirka 1.104 pro Jahr) ins All gestartet werden, wovon wiederum 86 Prozent Kleinsatelliten sein werden." Für viele kommerzielle Anwendungen genügten dabei sogar Kleinstsatelliten mit einem Gewicht von ein bis zehn Kilogramm.

Das Wirtschaftsministerium prüfe den Vorschlag unter Einbindung weiterer in der Zuständigkeit betroffener Ressorts, hieß es in Berlin zum Sachstand. "Das BMWi steht dazu auch in engem Kontakt mit der deutschen Raumfahrtindustrie und den Verbänden.

Einen genauen Zeitplan für die Prüfung können wir deshalb noch nicht geben." Eine Beteiligung durch den Bund ist für die Realisierung und Genehmigung der Startplattform unabdingbar.

"Für die Bundesregierung wäre das Risiko im Falle einer Unterstützung sehr gering. Es geht nicht um eine Goldrand-Lösung. Wir rechnen sehr konservativ. Der Bund soll die Plattform weder kaufen noch betreiben oder umbauen", so Wachter.

Allerdings geht es um einen Zuschuss des Bundes in der Anlaufphase. Dieser läge auf sechs Jahre gerechnet zwischen 22,2 und 29,7 Millionen Euro, was pro Jahr einen Betrag zwischen 3,7 und rund 5 Millionen ergäbe.

Plattformbetreiber wären nicht die Raketen-Companys, sondern eine oder mehrere Firmen mit maritimen Fachwissen. Die Planungen sind konkret. Die Raketen würden im Hafen auf das Schiff verladen und liegend in 21 bis 26 Stunden Fahrtzeit zur Startposition gebracht.

Bis zu 25 Starts pro Jahr möglich

Dort ginge die Rampe in Stellung, die Rakete würde betankt, und alle Personen verließen die Plattform. Startauslösung und Steuerung erfolgten von einem zweiten Schiff in drei Kilometer Entfernung. Dann führe das Schiff zurück. Preis pro Start: zirca 600.000 Euro.

Der Startzyklus - Verladen, Transit, Start, Rückfahrt - wird am Anfang mit 15 Tagen veranschlagt. Beim Basis-Hafen habe der BDI zwar keine Präferenz, Bremerhaven aber gute Chancen.

"Technisch sind 25 Starts pro Jahr möglich. Wir hoffen aber, dass es perspektivisch mehr werden. Wenn die Politik das "Go" gibt, könnte der erste Start Ende 2021 erfolgen", so Wachter.

Ganz so optimistisch ist man in der OHB-Zentrale nicht. Dort rechnet OHB-Chef Fuchs zwar später jährlich "mit einigen Dutzend Starts" allein für die Rocket Factory Augsburg (RFA) und deren Microlauncher der Ein-Tonnen-Nutzlastklasse.

Auch an einer Plattform in der Nordsee sei man sehr interessiert. Aber den Erststart für die "RFA ONE" plant OHB Ende 2022 zunächst auf der Insel Andøya in Nordnorwegen. Fuchs: "Wir fangen jetzt erstmal in Norwegen an und haben natürlich das Ziel, das aus Deutschland heraus zu machen. Jeder der Raketen baut, braucht Startrampen."
© dpa | Abb.: OHB-System | 25.10.2020 07:36


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