SunExpress-CCO Peter Glade
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"In Zukunft gewinnt die Airline, die am flexibelsten reagiert"

Peter Glade, CFO Sunexpress
Peter Glade, CFO Sunexpress, © Sunexpress

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FRANKFURT - Das Ende des deutschen AOC hat die SunExpress-Belegschaft schwer getroffen. Wer noch an Bord ist, muss sich auf flexiblere Strukturen einstellen. SunExpress-CCO Peter Glade beschreibt im Interview mit aero.de, wie diese aussehen werden. Mit wie vielen Flugzeugen plant die Airline in Zukunft?

aero.de: Herr Glade, SunExpress hat gerne mit "türkischer Gastfreundschaft" und "deutscher Präzision" geworben. Was werden Sie mit dem Wegfall des deutschen AOC an dem Slogan ändern?

Peter Glade: Die SunExpress ist seit dreißig Jahren Tochter der Lufthansa und der Turkish Airlines. Wir haben schon lange vor der Gründung der deutschen Tochter das beste aus beiden Kulturen miteinander verknüpft. Das werden wir genauso weiter tun. Wir werden unser Co-Headoffice in Frankfurt selbstverständlich behalten. Wir bleiben deutsch und wir bleiben türkisch.

aero.de: Wie wird das Unternehmen SunExpress zwischen Lufthansa und Turkish Airlines aufgeteilt sein?

Glade: SunExpress bleibt zu gleichen Teilen ein Gemeinschaftsunternehmen von Lufthansa und Turkish Airlines. SunExpress Deutschland war unsere Tochtergesellschaft. Das kommerzielle Herz, die kommerzielle Steuerung dieser Tochter, ist aber vom in Deutschland befindlichen Teil der türkischen Mutter geführt worden.

Das ganze Thema Marketing, Pricing, Netzplanung wurde zentral von unserem Team in Frankfurt betreut. Daran wird sich jetzt nichts ändern, auch wenn das deutsche AOC bedauerlicherweise wegfällt.

aero.de: Sie sagen bedauerlicherweise – was hat letztendlich zur Einstellung des deutschen AOC geführt?

Glade: Das war eine strategische Entscheidung, die wir fällen mussten, um uns in dieser Krise auf unser Kerngeschäft zu fokussieren– und das ist der Verkehr zwischen Deutschland und der Türkei. Es war eine Entscheidung, die das Top-Management gemeinsam mit den Shareholdern getroffen hat, als klar war, dass wir im Wettbewerb die Kraft haben würden, die Coronakrise so zu überstehen, dass wir stärker aus ihr hervorgehen.

aero.de: Viele andere Airlines, die einen Großteil ihres Gewinnes bis vor der Krise aus dem Geschäftsreiseverkehr generierten, entdecken nun Urlaubsreisende für sich. Befindet sich die SunExpress als langjährige Ferienfliegerin in diesem Wettbewerb in der Pole Position?

Glade: Um es kurz zu machen: ja. Warum? Sehr viel von dem Geschäftsmodell, das wir anbieten – direkte Flüge in die Sonne von vielen Flughäfen aus – kann man gegebenenfalls kopieren. Es gibt aber ein paar Dinge, die man nicht kopieren kann. Das ist sicherlich zum einen unsere langjährige Erfahrung in genau diesem Markt.

Vor allem ist es aber auch das Vertrauen, dass wir im Markt aufgebaut haben, auch und gerade in den Krisen. Man wird im Tourismusflug nicht erfolgreich sein, wenn man nicht starke, vertrauensvolle Beziehungen zu Reiseveranstaltern und -büros hat.

Wir haben gerade in der Coronakrise bewiesen, dass wir der verlässlichste Partner in unserem Marktsegment sind, was das Thema Rückzahlungen angeht, was das Thema Beständigkeit des Flugplanes angeht, was das Thema Offenheit und Transparenz in der Planung angeht. Das ist sehr schwer zu kopieren. Den Airlines, die neu in diesen Markt kommen, wird relativ schnell klar werden, dass man ohne solches Vertrauen einen sehr schweren Start hat.

aero.de: Das heißt, Sie zählen nach wie vor sehr stark auf Pauschalreisende und die Zusammenarbeit mit Reiseanbietern. Ist das ein Türkei-spezifisches Modell? In andere Regionen wie etwa nach Spanien machen ja auch Individualreisende einen großen Teil des Geschäftes aus.

Glade: Das Schöne ist, dass wir beides können: Individualreisenden und Pauschalreisenden entgegenkommen und ihnen das Angebot bieten, das sie erwarten.

Aber auch bei den Direkt-Buchern gehe ich davon aus, dass in den kommenden Jahren der Trend nicht nur in Richtung des günstigsten Preises gehen wird, sondern auch hin zu Verlässlichkeit und Corona-Prävention. An der Stelle wird dann die Beratungsintensität höher und Kunden gehen wieder tradierte Wege über Reisebüros oder Websites, die so etwas anbieten. Dann sind wir da und haben die richtigen Informationen.

aero.de: Stichwort Corona-Prävention: Sprechen Sie hier eher von Reiserücktrittsversicherungen, der Möglichkeit, umzubuchen oder haben Sie auch andere vertrauensbildende Maßnahmen im Angebot?

Glade: Wir haben den großen Vorteil, dass wir als Brücke zwischen Deutschland und der Türkei - gerade für die Touristen - mit türkischen und deutschen Stellen gemeinsam und in enger Absprache ein wirklich umfangreiches Paket aufgesetzt haben.

Das "Safe Tourism"-Label der türkischen Regierung, geprüft vom deutschen TÜV, in dem das Konzept der Corona-Prävention von A bis Z durchdacht ist, inklusive Garantien, was Kostenübernahmen im Krankheitsfall angeht. Wir haben Versicherungsdienstleister, die anbieten, auch die Corona-Behandlungskosten, wenn es denn nötig wäre, zu erstatten. Und natürlich: Wir bieten im Moment auch erhöhte Flexibilität bei Umbuchungen an.

aero.de: Also wer jetzt einen Flug mit Sunexpress buchen würde, hätte die Option, zusätzlich einen Schutz zu buchen im Falle einer Infektion mit dem Coronavirus?

Glade: Korrekt. Außerdem gilt bei allen unseren Flügen aus der Türkei: 100 Prozent negative Corona-Tests, die nicht älter sein dürfen als 48 Stunden für alle Gäste an Bord. Neben den Hygienemaßnahmen an Board ist das ein maximaler Schutz.

aero.de. Wie sieht es momentan mit den Buchungen bei Ihnen aus?

Glade: Die Türkei hat eine Vorbildfunktion, was das ganze Thema Reisen und Tourismus angeht. Es gibt die bilateralen Absprachen wie das "Safe Tourism"-Programm. Wir merken, dass das auch von Markt goutiert wird. Die Buchungszahlen liegen aber dennoch noch nicht ansatzweise da, wo wir sie gerne hätten oder wo wir sie brauchen.

SunExpress Boeing 737-800WL
SunExpress Boeing 737-800WL, © Ingo Lang, edition airside


Wir merken, dass sich in den drei Geschäftsfeldern, die wir bespielen, die Märkte doch unterschiedlich entwickeln. Innerhalb der Türkei ist die Nachfrage relativ konstant. Da hat der Lira-Verfall einen viel stärkeren Effekt als das Thema Corona. Im Bereich "visiting friends and relatives", das heißt primär Flüge nach Anatolien, merken wir, dass sich viele Tripps nicht verschieben lassen. Da geht es um Gesundheit, um Beerdigungen, Hochzeiten etc. Auch da merken wir, dass eine halbwegs konstante Grundnachfrage da ist.

Das Tourismus-Segment ist mit Abstand am instabilsten, die ständige Verunsicherung der Bevölkerung durch die Regierung zu diesem Thema hilft da nicht. Reisen ist ja nicht das Problem. Das Verhalten am Zielort kann zum Problem werden.

aero.de: Können Sie das anhand von Zahlen konkretisieren?

Glade: Was den Sitzladefaktor angeht, ist in manchen Segmenten das Vorjahresniveau zumindest in Sichtweite. Die spannendere Zahl ist allerdings das Programm, das wir gerade fliegen. Im Herbst waren das innertürkisch fast achtzig Prozent des Vorjahresprogrammes, im Bereich "visiting friends and relatives" weniger und im Tourismus deutlich weniger.

Damit müssten wir unter den europäischen Airlines eine derjenigen sein, die im Vergleich zum Vorjahr am meisten fliegen. Und wir verbrennen damit kein Geld. Wir fliegen nur dann, wenn es wirtschaftlich ist.

aero.de: Wie viele Flugzeuge haben Sie im Winter 20/21 im Einsatz?

Glade: Das ist ein bisschen schwierig zu beantworten, weil wir uns gerade im Umbruch befinden. Die Flugzeuge aus dem deutschen AOC werden gerade sukzessive in das türkische AOC überführt. Damit ist die Anzahl in diesem Winter sehr stark schwankend.

»Der Gewinner der nächsten Jahre - und ganz bestimmt in 2021 - ist die Airline, die am flexibelsten reagieren kann.«
Peter Glade, CFO SunExpress
Als konkretes Beispiel: Wir fliegen in einem "normalen" Sommer unsere 737 Flotte knapp 16 Stunden am Tag. Jetzt kann ich natürlich wenige Flieger auf ähnlichem Niveau bewegen, oder viele mit der Hälfte der Utilization. Damit kann ich Ihnen jede Statistik basteln, die Sie wollen.

aero.de: Schwankend zwischen?

Glade: Zwischen 18-26 A/C sind über den Winter im aktiven Dienst.

aero.de: Wie viele Flugzeuge planen Sie im Sommer 2021 ein?

Glade: Wir werden im Sommer 2021 zwischen 39 und 44 Flugzeuge einsetzen. Ich sage das bewusst so, weil ich davon überzeugt bin, dass wir vor einem Paradigmenwechsel stehen - und bei SunExpress haben wir diesen Paradigmenwechsel auch in den letzten Jahren bereits vorbereitet und forciert.

In der Vergangenheit war die Airline am erfolgreichsten, die am besten und am vorausschauendsten planen konnte und die ihre Strategie umgesetzt hat in langfristige Flottenplanungen, Netzwerkplanungen etc.

Der Gewinner der nächsten Jahre -und ganz bestimmt in 2021- ist die Airline, die am flexibelsten reagieren kann. Deswegen haben wir uns entschieden, für den Sommer 2021 zwischen 39 und 44 Flugzeugen einzuplanen und dann dem Markt zu überlassen, was er denn von uns braucht.

Und das kann man nur durch konstante, enge Kommunikation mit den Vertriebspartnern erreichen, damit die sich nicht von Stornierung zu Stornierung hangeln, sondern in dem Entscheidungsprozess eine aktive Rolle spielen. Dafür braucht man aber eine saubere Kostenstruktur, man braucht viel Flexibilität im System und dafür braucht man – das ist das, was die SunExpress auszeichnet – den Spirit der Mitarbeiter, die diese Wege auch mitgehen. Denn das ist natürlich ganz anders als das, was man über die Jahrzehnte gelernt hat.

aero.de: Das bedeutet ja, dass Sie fünf Crews auf Abruf bereitstehen haben, die aber nicht zwangsläufig eingesetzt werden. Was ist mit diesen Mitarbeitern?

Glade: Das heißt zu dem Zeitpunkt erstmal, dass wir Crews haben, die erst sehr kurzfristig erfahren werden, ob und wo sie denn eingesetzt werden oder nicht. Auch hier: Flexibilität ist das Entscheidende. Aber wir sind selbstverständlich in engem Austausch mit unseren Crews.

Was die SunExpress wirklich auszeichnet ist, dass die Mitarbeiter ein volles Verständnis für die Situation haben, dass wir sehr transparent mit ihnen kommunizieren und dass wirklich alle bereit sind, die extra-Meile zu gehen, um gemeinsam diese Krise zu bewältigen.

aero.de: Also dabei geht es um Mitarbeiter, die schon jetzt bei SunExpress angestellt sind, aber freigestellt? Oder werden sie neu eingestellt, wenn sie tatsächlich gebraucht werden?

Glade: Neueinstellungen von Crews haben wir im Moment nicht geplant. Das wäre auch im derzeitigen Marktumfeld sehr überraschend. Unser Ziel ist es, strukturellen Maßnahmen im Sinne von Freistellungen oder Kündigungen zu verhindern.

aero.de: Sind die Mitarbeiter momentan freigestellt?

Glade: Sie sind in Kurzarbeit. In der Türkei gibt es dafür ein ähnliches Modell wie hier.

aero.de: Wie sieht es mit den A330-Crews aus? Wechseln die Crews, die bislang unter deutschem AOC geflogen sind, ins türkische? Behalten Sie eine Homebase in Deutschland?

Glade: Wir haben mit unseren Tarifpartnern gemeinsam für sehr viele Kolleginnen und Kollegen individuelle Lösungen für ihre Zukunft erarbeiten können. Für manche innerhalb des Lufthansa Konzerns, für andere bei anderen interessanten Arbeitgebern, für manche stehen Qualifizierungsmaßnahmen an.

Unser Commercial Team wird weiterhin aus Frankfurt heraus arbeiten, die Nähe zu unseren Partnern vor Ort liegt uns am Herzen. Eine fliegerische Base in Deutschland wird es nicht mehr geben.

aero.de: Wie stark hat die Krise Sie darüber hinaus getroffen?

Glade: Wir werden emotional noch ein Stück brauchen, bis wir die Schließung des deutschen AOC verarbeitet haben, auch als SunExpress-Familie. Was sich bei uns noch mehr beschleunigt hat als vorher ist der Spirit, Dinge auszuprobieren, der Spirit der Gemeinschaft, des Zusammenhaltes und einer wirklich einzigartigen Form der Flexibilität. Das ist wirklich bewundernswert. Ich habe schon bei vielen Fluggesellschaften gearbeitet – aber so wie bei der SunExpress habe ich das noch nicht erlebt.

aero.de: Wie viele Mitarbeiter haben Sie denn momentan noch an Bord?

Glade: 3.500.

aero.de: Zum Abschluss ein anderes Thema: Wie es aussieht darf die 737MAX bald wieder in Europa fliegen. Ab wann und in welcher Stärke stoßen die bestellten Maschinen zu Ihrer Flotte?

Glade: Wir sind in engem Kontakt mit Boeing, um uns da auf Lösungen zu einigen, die sowohl dem Auslieferungsinteresse als auch dem Kapazitätsbedarf entgegenkommt. Da sind wir gemeinsam auf einem guten Weg, aber noch nicht an einem Punkt, wo wir darüber sprechen können.

aero.de: Schade. Dennoch die Bitte um einen Hinweis: Sollen die 737 MAX die flexible Flotte, die sie für nächstes Jahr planen, verstärken oder sollen damit ältere Maschinen ersetzt werden?

Glade: Wir werden die 737 MAX dann bei uns einsetzen, wenn wir wirklich die uneingeschränkte Lufttüchtigkeit gewährleistet sehen. Das heißt, die muss von nationalen und internationalen Behörden sichergestellt sein. Erst dann fangen wir an, die 737 MAX in unsere Flottenplanung einzubeziehen.

»Ich glaube, dass wir als Industrie einen gemeinsamen Kraftakt vor uns haben, um die Kunden von der 737 MAX zu überzeugen.«
Peter Glade, CFO SunExpress
Ich habe gerade gesagt, Flexibilität ist das, was uns auszeichnet, das, was uns auch als Industrie in den nächsten Monaten und Jahren auszeichnen wird. Deswegen lassen wir uns ganz bewusst im Moment auch mit unseren bestehenden Leasinggebern die Flexibilität, uns dann für Wachstum und Flugzeugersatz zu entscheiden, wenn wir ein klareres Bild haben, wie sich die Märkte entwickeln.

aero.de: Was denken Sie: wird die 737MAX von den Passagieren wieder angenommen werden oder werden sie schwer zu überzeugen sein, die 737 MAX zu besteigen?

Glade: Ich glaube, dass wir als Industrie gemeinsam einen Kraftakt vor uns haben, die Kunden zu überzeugen. Ich bin mir aber auch sicher, dass sich die Kunden dann überzeugen lassen, wenn die uneingeschränkte Lufttüchtigkeit gegeben ist und von verschiedenen staatlichen Institutionen bescheinigt ist.

aero.de: Ryanair zum Beispiel hat ja angekündigt, dass sie nicht im Flugplan schreiben werden, wenn eine 737MAX zum Einsatz kommt. Werden Sie das anders handhaben, also offen damit umgehen?

Glade: Unser Flugplan hat bis jetzt noch nie einen Flottentyp ausgewiesen. Wir werden unsere Kunden nicht für dumm verkaufen – ich glaube, das ist die richtige Antwort.

Herr Glade, wir danken Ihnen für das Gespräch.
© aero.de | Abb.: Sunexpress, aero.de (boa, Montage) | 08.11.2020 07:57


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