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Triebwerkshersteller nutzen die Krisenzeit

Rolls-Royce Ultrafan
Rolls-Royce Ultrafan, © Rolls-Royce

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MÜNCHEN - Die Corona-Krise trifft die Hersteller von Turbofans für Standardrumpfflugzeuge ins Mark. Dennoch wird an weiteren Verbesserungen - und dringend benötigten Nachbesserungen - der neuesten Antriebe für die A320-Familie von Airbus und die Boeing 737 gearbeitet.

Eben noch waren Narrowbodies, Flugzeuge für Kurz- und Mittelstrecken, ein höchst lukrativer Markt mit steigenden Absatzzahlen. Airbus und Boeing schraubten die Produktionsraten ihrer Kassenschlager A320 und 737 auf gut 60 Exemplare pro Monat hoch.

Triebwerkshersteller bauten ihre Kapazitäten entsprechend aus und profitierten vom Boom; allen voran CFM International und Pratt & Whitney, die sowohl die älteren als auch die neuesten Varianten der Airbus- und Boeing-Narrowbodies motorisieren. Doch dann kam erst das weltweite Flugverbot für die Boeing 737 MAX und schließlich Covid-19.

"Die Auswirkungen der Pandemie auf die Wirtschaft und die kommerzielle Luftfahrt sind weitaus schlimmer, als wir noch vor Kurzem prognostiziert haben", so Greg Hayes, CEO von Raytheon Technologies, Mutterkonzern von Pratt & Whitney, bei der Vorstellung der jüngsten Quartalszahlen Ende Juli.

Man gehe davon aus, dass der zivile Luftverkehr erst 2023 wieder das Niveau von 2019 erreichen werde. Für den aktuellen Bestseller im Portfolio des US-Triebwerksherstellers, den A320neo-Getriebefan (GTF) PW1100G-JM, bedeutet dies eine Senkung der Produktionsrate um rund 40 Prozent für die nächsten eineinhalb Jahre.

Pratt & Whitney bessert Getriebefans nach

Doch nicht alles ist schlecht: "Ein positiver Aspekt, der sich aus der Krise ergeben hat, ist die Möglichkeit, unser Upgrade-Programm für die bestehende GTF-Flotte zu beschleunigen, insbesondere Retrofits der Niederdruckturbine", sagt Tom Pelland, Senior Vice President, Commercial Engine Programs bei Pratt & Whitney auf Anfrage der FLUG REVUE. Pratt & Whitney hat seit der Indienststellung der ersten Triebwerke der PW1000G-Familie Anfang 2016 mit Kinderkrankheiten zu kämpfen.

Für Ärger sorgten zuletzt Vibrationen des Hilfsgetriebes und Brennkammerverkleidungen, die zu schnell verschleißen, ebenso eine frühzeitige Abnutzung der Schaufeln der dritten Stufe der Niederdruckturbine. Für dieses Bauteil ist der deutsche Triebwerkshersteller MTU Aero Engines verantwortlich, der je nach Variante mit 15 bis 18 Prozent am GTF beteiligt ist und auch eine PW1100G-JM-Endmontagelinie in München beherbergt.

Die ursprünglichen Titanaluminid-Schaufeln werden nun aus einer robusteren Nickellegierung hergestellt.

Freigewordene Shopkapazitäten

Das Retrofit-Programm sollte sich bis 2021 hinziehen. Durch die coronabedingt freigewordenen Shopkapazitäten könne man die Zahl der ursprünglich für 2020 geplanten Nachrüstungen fast verdoppeln, so Pelland. "Der Austausch der Stufe der Niederdruckturbine wird bis Ende des Jahres abgewickelt sein", bestätigt auch Reiner Winkler, Vorstandsvorsitzender von MTU Aero Engines.

Bei der A320neo-Familie hat Pratt & Whitney einen Marktanteil von rund 40 Prozent. Den größeren Teil dieses Kuchens konnte sich bislang der Konkurrenzantrieb LEAP-1A von CFM International sichern, auch wenn dieser selbst anfangs von technischen Problemen und Lieferschwierigkeiten geplagt wurde. Doch auch das Gemeinschaftsunternehmen von GE Aviation und Safran Aircraft Engines, welches das Segment der Narrowbody-Antriebe traditionell dominiert, leidet unter der Krise.

Schon vor Ausbruch der Pandemie machte CFM International das Grounding der 737 MAX zu schaffen. Das LEAP-1B ist der exklusive Antrieb des überarbeiteten Boeing-Zweistrahlers; rund 40 Prozent der bisherigen LEAP-Flotte sind Triebwerke dieser Variante. Im Februar entschied CFM, die Produktionsrate wegen desFertigungsstopps bei Boeing auf nur noch zehn LEAP-1B pro Woche herunterzufahren. Safran Aircraft Engine

Damals ging Safran Aircraft Engines immerhin noch von 1400 LEAP-Auslieferungen in diesem Jahr aus (geplant waren einmal mehr als 2000). Ende Juli musste Safran-CEO Philippe Petitcolin diese Zahl abermals reduzieren: Nur 800 Triebwerke sollen die Endmontagelinien in Frankreich (Villaroche) und den USA (Lafayette, Indiana und Durham, North Carolina) 2020 verlassen – weniger als im ersten Halbjahr 2019 (861).

Allmähliche Besserung

Immerhin gibt sich CFM vorsichtig optimistisch: "Wir sehen eine allmähliche Besserung in einigen Regionen auf der Welt, beispielsweise in China, den Vereinigten Staaten und Europa", sagt ein Sprecher des Joint Venture. Auch bei Pratt & Whitney sieht man einen Silberstreif am Horizont: "Die Erholung für Kurz- und Mittelstrecken, die primär von Single-Aisle-Flugzeugen bedient werden, wird schneller erfolgen als für Langstrecken", so Tom Pelland.

Trotz des momentanen Gegenwinds arbeiten CFM und Pratt & Whitney weiter an der nächsten Generation ihrer Topantriebe im mittleren Schubsegment. Für den GTF sieht Pelland noch viel Potenzial. "Da das Getriebesystem bei der Antriebseffizienz eine drastische Veränderung bewirkt hat, arbeiten wir nun daran, den thermischen Wirkungsgrad des Kerntriebwerks weiter zu verbessern, vor allem durch Verwendung neuer Materialien", sagt er.

Bei MTU Aero Engines geht man davon aus, dass durch Werkstoffe, die höhere Temperaturen und damit höhere Drücke ermöglichen, weitere zehn Prozent an Treibstoffeinsparungen beim GTF möglich sind. Eine Rolle spielen dürften unter anderem keramische Verbundwerkstoffe (CMC), die leichter und hitzeresistenter sind als Metalllegierungen.

CFM nutzt im LEAP bereits CMC-Deckbänder in der Hochdruckturbine, daher konzentrieren sich die Ingenieure auf Weiterentwicklungen in anderen Bereichen. "CFM stützt sich auf eine klare Roadmap, die Aerodynamik, Materialverbesserungen und Architekturstudien beinhaltet", so der CFM-Sprecher. Offen ließ er dagegen, ob damit die Integration eines Getriebes zwischen Niederdruckturbine und Bläser wie bei der PW1000G-Familie gemeint ist oder ob es um hybrid-elektrische Technologien oder eine Neuauflage des Unducted Fan geht.

Der Markt für Narrowbody-Triebwerke ist sehr westlich geprägt: CFM International hält mit rund 70 Prozent den größten Anteil, gefolgt von IAE und Pratt & Whitney mit zusammen etwa 25 Prozent. GE Aviation hat mit dem CF34 vor allem im Bereich der Regionaljets ein wichtiges Standbein. Doch auch im Osten tut sich etwas: Mit dem PD-14 konstruiert Russland erstmals seit fast drei Jahrzehnten wieder ein eigenes ziviles Turbofan-Triebwerk.

Entwickelt wird es vom Konstruktionsbüro Awiadwigatel, die erste Anwendung ist die Irkut MS-21-300. Im Juli wurden die ersten PD-14 testweise an einem MS-21-Prototyp installiert. Termine für den Beginn von Boden- und Flugtests nannte der Hersteller bisher nicht. Eine verkleinerte Variante des PD-14 könnte auch für einen überarbeiteten Suchoi Superjet infrage kommen. Aktuell wird der russische Verkehrsjet vom SaM146 angetrieben, einer gemeinsamen Entwicklung von Safran Aircraft Engines und NPO-Saturn.
© Flug Revue - UE | Abb.: Pratt & Whitney | 11.10.2020 09:52


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