ESA-Astronaut Matthias Maurer
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"Bei der Crew Dragon ist alles wie in einem Tesla"

ESA-Astronaut Matthias Maurer
ESA-Astronaut Matthias Maurer, © ESA/NASA

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KÖLN - Als erster deutscher ESA-Astronaut fliegt Matthias Maurer im Herbst mit der Crew Dragon zur ISS. Wir haben den 50-Jährigen virtuell zum Interview getroffen. Matthias Maurer ist promovierter Materialwissenschaftler und gehört seit Juli 2015 zum europäischen Astronautenkorps.

Seine Astronauten-Grundausbildung hat der gebürtige Saarländer 2018 abgeschlossen. Im Herbst wird er zu seinem ersten Langzeitaufenthalt auf der Internationalen Raumstation starten. Seine Mission erhielt den Namen "Cosmic Kiss". Derzeit ist Maurer in den USA und trainiert bei der NASA und bei SpaceX für seinen ersten Flug ins All.

Die Zeit von Matthias Maurer während seines Astronautentrainings ist knapp. Daher wurde dieses Interview gemeinsam von Henning Bulka (Rheinische Post/RP Online), Sarah Schött (Luxemburger Wort) und Ulrike Ebner geführt. Die Fragen waren untereinander abgestimmt.

Herr Maurer, haben Sie eigentlich Höhenangst?

Matthias Maurer:
Es gibt ja angeblich Astronauten, die Höhenangst haben, etwa vor einem Bungee-Sprung. Doch wenn man in den Weltraum fliegt, dann ist man so weit weg – da spielt das glaube ich keine Rolle mehr. Aber nein, ich habe keine Höhenangst (lacht).

Sie fliegen als erster deutscher Astronaut mit der Crew-Dragon-Kapsel von SpaceX zur ISS, und nicht mit der russischen Sojus. Was sind die größten Unterschiede zwischen diesen beiden Raumschiffen?

Maurer: Da ich selbst nie auf der Sojus-Kapsel trainiert habe – das macht man immer erst, wenn man einem Flug zugewiesen wurde – kenne ich dieses Raumschiff nicht so gut wie etwa Alexander Gerst, der ja bereits zweimal damit geflogen ist.

Der Hauptunterschied sind 50 Jahre, die zwischen den beiden Raumschiffen liegen. Wenn Sie sich einmal anschauen, was in 50 Jahren im Automobilbau passiert ist – da steht ein VW Käfer einem heutigen Elektroauto gegenüber – können Sie ahnen, was in derselben Zeit in der Raumfahrt passiert ist.

Die Sojus ist ein sehr robustes Vehikel, ist ausgereift und wurde in 50 Jahren immer wieder stetig verbessert. Es sieht innen sehr mechanisch aus, doch steckt auch dort mittlerweile sehr viel Elektronik drin. Trotzdem hat die Crew sehr viele Interaktionen mit der Kapsel.

Bei der Crew Dragon hingegen ist alles wie in einem Tesla. Sie haben zwei große Bildschirme vor sich. Damit steuern der Pilot oder der Commander das Raumschiff, wobei das meiste aber nur Monitoring ist. Wir fliegen diese Crew Dragon fast nicht mehr selbst, sondern wir überwachen nur noch, dass das Programm so abläuft, wie es vom Boden aus geplant ist.

Man kann, wenn nötig, aber jederzeit Korrekturen vornehmen, man kann auch manuell andocken. Außerdem gibt es Funktionen in der Crew Dragon, die wir in der Sojus nicht haben.

Welche zum Beispiel?

Maurer: Das sind Spezialanwendungen, wie etwa einen erkrankten Astronauten mit medizinischem Sauerstoff im Raumanzug zu versorgen, ähnlich wie eine Sauerstoffsonde, die man im Krankenhaus in die Nase gelegt bekommt. Einen Astronauten unter diesen Bedingungen zurückzubringen: Das geht mit der Sojus nicht.

Bei der Sojus ist zudem noch sehr viel manuell geplant, das heißt die Kosmonauten erhalten jeden Tag ein Datenblatt. Darin steht, zu welchen Zeiten sie abdocken könnten, falls es einen Notfall gibt, damit sie dann auch vorgeplant an der richtigen Stelle landen.

Bei der Dragon kann man eigentlich jederzeit reinspringen und sagen: Wir müssen jetzt weg. Dann übernimmt das der Computer. Man kann dann den Landeplatz auch noch einmal manuell anpassen und erst 150 Kilometer später oder auch früher landen, die Endphase lässt sich also etwas weiter tunen.

Bei der Crew Dragon ist also sehr viel elektronisch, man muss nicht mehr manuell Datenblätter und Rechenschieber bemühen und viel eigenes Wissen mit einfließen lassen. Jetzt habe ich aber glatt den Hauptunterschied gar nicht erklärt (lacht).

Nämlich?

Maurer: Die Sojus hat Platz für drei Kosmonauten und kann sowohl auf Land als auch auf Wasser landen, die Dragon hat hingegen Platz für vier Astronauten, landet aber nur auf dem Wasser. Das ist prinzipiell ein Riesenvorteil der Sojus. Sie kann überall auf der Welt landen.

Für Dragon wäre die Landung auf Land zu hart und würde wahrscheinlich zu Verletzungen bei der Crew führen. Da aber drei Viertel der Erdoberfläche aus Wasser bestehen und die Kapsel eine hervorragende Zielsteuerung hat, ist das eigentlich kein Problem.

Sie fliegen nicht nur mit einem neuen Raumschiff, sondern Sie trainieren auch unter besonderen Bedingungen: Inwieweit beeinflusst die Corona-Pandemie die Vorbereitungen Ihres Flugs?

Maurer: Die Pandemie betrifft uns leider alle auf diesem Planeten. Die Regeln, die für Sie und Ihre Familie gelten, gelten auch für mich: Maske, Abstand, Hygienemaßnahmen und soziale Aktivitäten weitestmöglich unterlassen. Genau so lebe ich jetzt schon seit Beginn des Trainings.

ESA-Astronaut Matthias Maurer
ESA-Astronaut Matthias Maurer, © ESA/NASA


Für meinen speziellen Fall bedeutet die Pandemie aber auch: Immer wenn ich reise, muss ich entsprechend der vorgeschriebenen Quarantäneregeln handeln und unter Umständen für ein oder zwei Wochen in Quarantäne gehen.

Wenn man nun so wie früher alle sechs Wochen von einem Trainingsort zum nächsten fliegen würde, damit man auch die Familie öfter sieht, verbrächte man aktuell viel zu viel Zeit in Quarantäne. Deswegen ist das bei mir stärker aufgeteilt worden. Ich bin jetzt sehr lange in den USA, war einen großen Block in Russland und zwischendurch sehr selten in Deutschland. Freunde und Familie sehen ist da schwierig – zum Glück gibt es das Internet.

In der letzten Astronautenauswahl 2008/2009 waren Sie unter den zehn Top-Kandidaten – doch damals hat es nicht für Sie geklappt, weil es nicht genug Flugmöglichkeiten gab. Hatten Sie den Traum vom Flug ins All zwischendurch schon abgehakt?

Maurer: Ja, das war so. Nachdem ich mich im Rahmen der Auswahl intensiv mit der Raumfahrt beschäftigt hatte, wusste ich: Das will ich unbedingt machen. Der Hauptwunsch, Astronaut zu werden, hatte zu diesem Zeitpunkt leider nicht geklappt.

Aber für mich war klar: Ich möchte in diesem Gebiet arbeiten. Wäre ich dann aber nach Köln ans Astronautenzentrum gegangen und hätte im Kopf immer noch diese Illusion gehabt, doch vielleicht noch Astronaut zu werden, hätte das nicht funktioniert.

Man hatte mir ganz klar gesagt: Die Auswahl ist jetzt abgeschlossen. Wenn du zur ESA kommst, dann nicht, um irgendeine Nachrutscher-Position zu haben. Das habe ich für mich sofort akzeptiert. Sonst hätte ich diese neue Stelle nicht mit viel Energie und Motivation angehen können. Umso größer war dann natürlich die freudige Überraschung, als sich 2014/2015 abzeichnete, dass ich nachrutschen könnte – und das hat dann ja geklappt.

Wie würden Sie die Gefühle bei diesen verschiedenen Entscheidungen beschreiben?

Maurer: Es ist ein Wechselbad. Wäre ich 2008/2009 direkt rausgeflogen, hätte ich gesagt: Ok, ich habe mein Bestes gegeben, da waren so viele gute Leute dabei – warum sollten die mich nehmen? Im Kopf war ich da sehr gut drauf vorbereitet.

Doch je näher man Richtung Ziel kommt, wächst die Vorstellung, dass das ja wirklich klappen könnte. Wenn man dann am Schluss bei einer Chance von mehr als 50 Prozent, dass es klappt, doch rausfliegt, ist die Enttäuschung enorm groß. Das ist, als würde einem der Boden unter den Füßen weggezogen.

Eine Silbermedaille gibt es bei der Astronautenauswahl ja leider nicht. Entweder man wird genommen und hat eine komplett neue Karriere, oder man wird nicht genommen. Dann fällt man auf genau das zurück, was man ein Jahr zuvor bei Beginn des Bewerbungsprozesses hatte, plus die zusätzliche Enttäuschung.

Ich habe Freunde aus der Astronautenauswahl von damals, die auch heute noch darüber nachdenken: Warum haben sie mich nicht genommen, sondern diese oder jenen? Das ist der Nachteil bei so einer Auswahl: Man steckt sehr viel Energie hinein und die Wahrscheinlichkeit, dass man mit einer Enttäuschung rauskommt, ist doch hoch.

Und jetzt in der zweiten Runde, wo es dann für Sie geklappt hat?

Maurer: Da könnte man natürlich denken: Das ist alles eingetütet und klar. Aber auch da musste ich natürlich wieder interne Bewerbungsgespräche durchlaufen, wieder einen Gesundheitstest machen. Das war wie eine zweite kleine neue Auswahl, bei der auch andere Kandidaten der Endphase von 2009 mit hinzugezogen wurden.

Es war da auch unter den ESA-Mitgliedsländern noch nicht so klar, ob es wirklich einen weiteren Platz gibt und ob auf jeden Fall einer der Kandidaten ausgewählt wird. Die Ansage war eher: Es kann klappen, wir bereiten das deshalb mal vor, aber ohne Garantie.

Mein Vorteil war, dass ich als Einziger der ehemaligen Finalisten mittlerweile bei der ESA angestellt war. Ich kannte die ESA gut, hatte dank meines EUROCOM-Trainings einen Riesenvorsprung. Auch die ESA-Leute kannten mich gut und wussten, worauf sie sich einlassen, wenn sie mich einstellen.

Ihr Flug zur ISS setzt die bisher rein männliche deutsche Astronautengeschichte fort. Warum hat es bisher keine deutsche Frau ins All geschafft?

Maurer: Noch keine deutsche Frau hat es ins All geschafft, das stimmt – aber es waren ja schon einmal zwei deutsche Frauen ausgewählt worden als Astronautinnen. Die sind auch ausgebildet worden. Das war aber Ende der 80er-Jahre, als man nicht die komfortable Situation wie heute hatte, wo die Flüge sehr planbar sind.

Damals war Deutschland Gast, entweder im Space Shuttle oder mit der Sojus, und es gab immer nur einen Flug, der dann ausgehandelt wurde. Bei der letzten Astronautenauswahl 2008/2009 waren auch deutsche Frauen dabei, aber es waren insgesamt nur um die zehn Prozent Bewerberinnen.

Ich erinnere mich noch an eine Situation in der vorletzten Runde, da war neben Alexander Gerst und mir auch eine deutsche Frau dabei. Da hat man mir gesagt: Wenn die Frau es durch den Medizintest schafft, dann habt ihr keine Chance, dann wird die Frau gezogen – weil dieser Druck da ist, endlich eine deutsche Frau fliegen zu lassen.

Ich fand das zum damaligen Zeitpunkt nicht wirklich fair, die Frau so zu bevorzugen. Leider kam sie dann beim Medizintest nicht durch, das war in diesem Fall dann der Vorteil für Alex und mich.

Was muss sich denn ändern, damit es die erste Deutsche ins All schafft?

Maurer: Ich würde mir wünschen, dass sich mehr Frauen bewerben und dann wirklich auf die Qualifikation geschaut wird. Dass Frauen genauso qualifiziert sind wie Männer, das sehe ich täglich bei der NASA: Da gab es bei der letzten Auswahl ein annähernd ausgeglichenes Verhältnis zwischen Männern und Frauen.

Wenn ich mit den Astronautinnen trainiere, sind die durchweg super fit, und bei einigen muss ich mich sehr anstrengen, dass ich überhaupt mithalten kann. Frauen können diesen Job genauso gut wie Männer, daran besteht überhaupt kein Zweifel.

Ich denke aber nicht, dass man jetzt irgendeine Quote einführen sollte. Wenn sich genügend Kandidatinnen bewerben, werden sicher einige dabei sein, die alle Tests bestehen und ins Astronautenteam aufgenommen werden.

Dann haben wir letztlich auch ein gutes und gemischtes Team. Ich bin auch sicher, dass wir bei der aktuellen Auswahl mehr Frauen dabei haben werden als beim letzten Mal. Das soll jetzt aber nicht heißen, dass sich die Männer nicht mehr zu bewerben brauchen (lacht).

Sie können ja die Tage so langsam schon runterzählen, bald wird es ernst. Wofür fühlen Sie sich bisher am wenigsten vorbereitet, was müssen Sie noch am meisten trainieren?

Maurer: Was sehr gut trainiert ist, sind die Systeme. Ich weiß genau, wie ich auf der ISS arbeite. Ich weiß auch, wie ich mit der Dragon hochfliege. Was jetzt, grob sechs Monate vor dem Start, noch fast gar nicht trainiert wurde, sind die wissenschaftlichen Experimente. Diese werden unabhängig von meiner Mission kontinuierlich entwickelt.

Wir haben einen Pool an Experimenten, bei einem Teil kommt es dann hin und wieder zu Verzögerungen. Einige, die vielleicht für Thomas vorgesehen waren, rutschen dann zu mir (Anm. d. Red.: Der französische ESA-Astronaut Thomas Pesquet soll im Frühjahr zur ISS fliegen.)

Alle Experimente sind sehr spannend und wurden von einer Kommission vorab geprüft. Darauf freue ich mich als Wissenschaftler auch besonders, diese jetzt zu trainieren. Das ist ja der Grund, weshalb ich in den Weltraum möchte: viele Experimente machen.

Sie sind Materialwissenschaftler. Gibt es Experimente, auf die Sie sich besonders freuen, weil sie auf der Erde nicht möglich sind?

Maurer: Was ich erforschen will, ist natürlich eine Sache. Die Experimente werden mir aber zugeteilt. Trotzdem gibt es dabei viele verschiedene spannende Themen, etwa bei den Metallen: Wir haben verschiedene Öfen auf der Station, wo Metalle bei extrem hohen Temperaturen bis zu 2.000 Grad geschmolzen werden können, einen elektromagnetischen Levitator beispielsweise.

ESA-Astronaut Matthias Maurer
ESA-Astronaut Matthias Maurer, © NASA/ESA


Das läuft zum größten Teil automatisch ab, als Astronaut muss ich diese Anlage aber warten und die Probenbehälter immer wieder austauschen. In einem anderen Ofen werden Metalle aufgeschmolzen und dann komplett störungsfrei erstarrt, die Erstarrungsbildung ist ganz anders als auf der Erde.

Worin besteht da der Unterschied?

Maurer: Wenn wir hier auf der Erde etwa Aluminium und Eisen miteinander verschmelzen würden, wäre eines ein leichtes und das andere ein schweres Metall, könnte es passieren, dass bestimmte schwere Bestandteile bedingt durch die Schwerkraft auf den Boden absacken – ein Prozess, den man Seigerung nennt. Das resultierende Metall wäre inhomogen.

Das würde im Weltraum definitiv nicht passieren, dafür aber andere Effekte. Genau deswegen fliegen wir dorthin, um diese Effekte zu studieren. Die daraus resultierenden Daten brauchen wir, um Computersimulationen damit zu füttern, sodass diese auch die extremen Randwerte mit einberechnen können. So können wir Prozesse später unter Erdbedingungen simulieren und ganz neue Anwendungen dafür finden.

Haben Sie noch andere Beispiele solcher Experimente?

Maurer: Im japanischen Modul können wir etwa auch nichtmetallische Elemente mithilfe von Elektrostatik freischwebend unter Laserlicht aufschmelzen und unter idealen Weltraumbedingungen schwerelos und ohne Kontakt mit einer Wand erstarren lassen.

Ein anderer Bereich ist die Medizin: Wir haben etwa Mikro-Organoide auf der Station, quasi künstliche Herzmuskeln, die im Weltraum wachsen. Da können wir jede Menge lernen, wie sich solche Vorstufen von Organen unter Schwerelosigkeit verhalten.

Dann haben wir einen 3D-Drucker für Kunststoffe auf der Station, hoffentlich bald auch für Metall. Und es geht auch um Flüssigkeitsphysik und Strömung. Meine Doktorarbeit habe ich ja im Bereich Metallschäume gemacht, und so haben wir auf der ISS auch Experimente, wie sich Schaum und Emulsionen unter Schwerelosigkeit verhalten.

Wenn Sie sich ein Bier eingießen, entsteht ja ein schöner Schaum. Dieser zerfällt aber mit der Zeit. Im Weltraum verhält sich das alles anders und man kann diese Schaumstrukturen viel besser studieren und daraus lernen, wie man sie stabil halten kann. Das hat dann viele Auswirkungen und technische Anwendungen – nicht nur fürs Bier.

Was konkret sind denn die bisher bedeutendsten Erkenntnisse solcher Forschung – und was können wir noch alles vom All lernen?

Maurer: Wir machen da oben sehr viel Grundlagenforschung – und da weiß man oft nicht, was am Ende dabei herauskommt. Ein Beispiel: Albert Einstein hat seine Theorie von der Relativität vor einhundert Jahren entwickelt. Damals haben die Leute wahrscheinlich gedacht, dass das etwas für die Bücher sei und man nichts damit anfangen kann.

Heute nutzen Sie genau diese Theorie von Albert Einstein, wenn Sie die Navigationssoftware auf Ihrem Handy nutzen, denn die Galileo-Satelliten, die dafür gebraucht werden, sind so präzise, dass der Effekt der Relativitätstheorie hierfür eine Rolle spielt.

Für Sie ist es schließlich ein Unterschied, ob Sie auf zehn Meter genau navigieren oder auf einen Häuserblock genau. Grundlagenforschung kommt also irgendwann zu Ergebnissen, die dann plötzlich wichtig werden und die man vorher nicht erwartet hätte. Deshalb ist es so wichtig, in der Grundlagenforschung aktiv zu sein – ich meine dies prinzipiell und nicht nur limitiert für den Weltraum.

Trotzdem gibt es ja auch Erkenntnisse für unser Leben aus der angewandten Weltraumforschung, oder?

Maurer: Ja, etwa für Augen-Operationen per Lasik. Wer mit dem Laser die Augen operiert bekommt, hat vielleicht Angst davor, was passiert, wenn man blinzelt oder den Kopf verdreht – also dass der Laser dann etwas ganz falsches durchschneidet.

Das passiert aber nicht aufgrund eines Systems, das mehrere 10.000 Mal die Sekunde die Pupillen beobachtet. Entwickelt wurde das eigentlich für den Weltraum. Astronauten haben ja immer noch Probleme mit der Weltraumkrankheit, bei der das Gleichgewichtsorgan gestört ist.

Man hat dann versucht, das über die Beobachtung der Augen besser zu verstehen. Diese Technologie ist dann später in jeden Lasik-Roboter gewandert. Ein anderes Beispiel ist die Software für den robotischen Arm auf der Station, mit dem wir unsere Nachschub-Kapseln mit Essen und Experimenten einfangen.

Die Technologie dieser sehr präzisen Steuerung fließt nun in Medizinroboter ein, die Operationen am Gehirn durchführen können, sodass wirklich nur der Tumor herausgeschnitten wird und kein gesundes Gewebe. Das sind die Extremanwendungen in der Medizin, es gibt aber noch viele andere.

Was fasziniert Sie besonders an der Arbeit im All?


Maurer: Für mich, der ich aus der Werkstoffwissenschaft komme, aber auch in der Medizin tätig war, ist es wichtig, über den Tellerrand zu schauen und mit vielen anderen Forschungsgebieten Kontakt zu haben. Als Astronaut bin ich hier in der absoluten Luxussituation, dass ich im Weltraum jeden Tag Experimente aus verschiedenen Disziplinen durchführen darf.

Außerdem finde ich Technologie sehr spannend – um es überhaupt in den Weltraum zu schaffen, brauchen wir die beste Technologie. Nicht nur, dass ich die Experimente durchführen und die Technik nutzen darf, sondern dass ich meine Erfahrungen mit einfließen lassen darf, um ein Stück weiterzukommen. Das ist etwas Einzigartiges an diesem Job.

Die Arbeit in internationalen Teams, ich hab an verschiedenen Orten studiert, Sprachen gelernt und finde es spannend, die unterschiedlichen kulturellen Herangehensweisen zu sehen. Wir gehen ja oft mit einer sehr deutschen Brille an Probleme heran – und manchmal ist eine Lösung die aus Italien kommt oder einem anderen Land, plötzlich viel eleganter, die würde aber in Deutschland vielleicht nie zustande kommen.

Dass wir als Europäer gemeinsam arbeiten und unser Weltraumprogramm aufstellen, dadurch sind wir in der Regel immer ein Stück besser als die anderen, wegen dieser kulturellen Bereicherung.

Und natürlich: In den Weltraum zu fliegen, die Erde von oben zu sehen, und schwerelos zu sein – das ist ein Traum, der ein Stück in jedem von uns steckt; den Sternen etwas näher zu sein und in die Zukunft zu schauen. Diese Kombination ist für mich das einzigartige am Beruf des Astronauten.

Bekannt ist bereits, dass Sie ein saarländisches Menü und einen Rötelstein mit ins All nehmen. Gibt es noch ein weiteres Andenken, das Sie mitnehmen wollen – und was werden Sie dort oben am meisten vermissen?

Maurer: Ja, wir nehmen noch ein paar andere Dinge mit, die darf ich jetzt nur noch nicht verraten – wir wollen ja noch nicht das ganze Pulver verschießen. Was ich am meisten vermissen werden, weiß ich noch gar nicht.

Die sechs Monate werden sehr schnell vorbeigehen und die Distanz zu Freunden und Familie habe ich durch meine lange Zeit hier in Texas schon um das dreifache vorempfunden. Ich glaube aber, dass das gute Essen schon ein Problem sein wird.

Denn auch wenn ich mein gutes saarländisches Essen bekomme: Wir essen da oben aus Dosen und Beuteln, die wir nur aufwärmen. Wenn Sie sich jetzt einmal eine Pizza vorstellen, die nur bei 80 Grad aufgewärmt ist: Die ist nicht knusprig oder knackig. Solange wir da oben nicht grillen oder backen dürfen, wird das Essen einfach so sein, wie es ist. Da können auch die Köche nichts dafür.

Alexander Gerst hat mit seinem Twitter-Account vielen den Weltraum näher gebracht. Welche Kanäle wollen Sie nutzen – vielleicht Livestreams auf Twitch von der ISS?

Maurer: Ich habe ja jetzt schon Twitter, Instagram und Facebook – Tiktok ist glaube ich auch noch in Vorbereitung. Die Kombination aus Musik und anderen Dingen werden wir in dieser Mission noch mit dem Thema Wissenschaft kombinieren, um das Thema Raumfahrt den Menschen näher zu bringen, und auch die Emotionen, die wir im Weltraum erleben dürfen, mit den Menschen zu teilen.

Wir haben ein ganz tolles Programm vor, auch Inflight-Botschaften und andere Videos schicken. Und mal schauen, vielleicht bekomme ich ja auch noch Clubhouse oben auf der Station, das wäre spannend. Über NASA-TV wird übrigens zu Arbeitszeiten live aus der ISS gestreamt und jeder kann uns bei der Arbeit zuschauen.

Üblicherweise fliegen ESA-Astronauten ja mindestens zweimal ins All. Wenn Sie sich Ihre zweite Mission aussuchen könnten, wo würde sie hingehen?

Maurer: Zum Mond, das ist eine ganz klare Sache. Schon bevor ich Astronaut wurde, war ich für die Zukunftsentwicklung des Astronautenzentrums in Köln zuständig und ich hoffe, dass wir dort in naher Zukunft Anlagen haben werden, wo wir Mondexploration trainieren können.

Und ich weiß, dass wir in den nächsten zehn Jahren drei Europäer Richtung Gateway, eine Station, die um den Mond kreisen wird, schicken werden. Je weiter die Zeit fortschreitet, desto größer ist auch die Chance, dass einer von uns auf dem Mond landen wird und diesen erkunden wird. Das ist natürlich der größte Traum für uns alle, nicht nur für mich, sondern auch für meine Kollegen, da bin ich sicher.

Herr Maurer, vielen Dank für Ihre Zeit und alles Gute!

Maurer: Danke sehr!
© FLUGREVUE - Ulrike Ebner | Abb.: ESA/NASA | 07.03.2021 11:16


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